Mumien unter dem Röntgenschirm

■ Gefälschte Knochen: In Wien wurden für eine Ausstellung erstmals die Überreste altägyptischer Bestattungskultur radiologisch untersucht

„Prinzessin“ nennt Elfriede Haslauer, Kustodin der Ägyptisch- Orientalischen Sammlung im Kunsthistorischen Museum zu Wien, die Mumie einer Sängerin aus dem Amuntempel in Karnak in Oberägypten, die in einer besonders schön bemalten Kartonage liegt. Die Frau muß vor dem 30. Lebensjahr gestorben sein. Das weiß man, seit die Mumien einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen wurden. Nicht weniger als 28 komplette Mumien von Erwachsenen- und Kinderleichen, dazu elf isolierte Köpfe, zehn abgetrennte Hände und sechs Füße wurden vermessen, gewogen und radiologisch untersucht. Alle stammen sie aus den Eigenbeständen des Hauses und sind zwischen 2.000 und 3.000 Jahre alt.

Daß das Kunsthistorische Museum den größten Bestand ägyptischer Mumien außerhalb Ägyptens in seinen Depots verwahrt, hängt mit der Geschichte Wiens als Metropole des Habsburgerreiches zusammen. Die Mumien von sechs Erwachsenen und fünf Kindern erscheinen bereits im Inventar von 1824 – sie sind also an den Kaiserhof gekommen, bevor das Mumienfieber ausbrach. Eine Zeitlang gehörte es für Äbte und Bischöfe zum guten Ton, auf der Rückfahrt von einer Pilgerreise nach Jerusalem in Kairo oder Alexandrien Zwischenstopp einzulegen, um ein antikes Souvenir für die Bibliothek zu erwerben.

Kronprinz Rudolf hingegen, der 1881 von einer Ägyptenreise mit einer halben Schiffsladung antiker Grabfunde heimkehrte, dürfte bereits der in den Aristokraten- und Neureichenkreisen ganz Europas grassierenden Mumienbegeisterung erlegen sein, als er zwei Exemplare einkaufte. Da der Ansturm auf die verschnürten Leichname mit authentischer Ware gar nicht zu befriedigen war, richteten damals geschäftstüchtige Grabräuber regelrechte Fälscherwerkstätten ein, in denen aus Mumienteilen und losen Knochen Falsifikate fabriziert und in aus antiken Holzfragmenten gezimmerten Särgen angeboten wurden.

Mit Hilfe der Computertomographie kann jetzt weiß auf schwarz nachgewiesen werden, was Fachleute schon vorher vermutet hatten: Fälschungen wie etwa eine Kindermumie, die nur aus zwei nicht zusammengehörigen Knochen besteht, werden samt dem dazugehörigen Röntgenbild als Kuriosum ausgestellt. Die Untersuchungen, die seit 1994 von Experten des Instituts für Radiologie am Donauspital und Wissenschaftlern vom Histologischen Institut der Uni Wien angestellt wurden, ermöglichen durch die digitale Technik eine stufenlose 3-D-Rekonstruktion. So war es möglich, die Mumien ohne thermische Belastung durch herkömmliche Röntgentechnik Schicht für Schicht elektronisch auszuwickeln.

Eine einzige Mumie, Überreste eines Vorlesepriesters aus dem 8. vorchristlichen Jahrhundert, wird ausgewickelt zur Schau gestellt. Sie wurde, wie Museumsdirektor Wilfried Seipel betont, schon so vorgefunden. Alle anderen liegen entweder unter dem Sargdeckel oder im offenen Sarg. Aus Gründen der Pietät setzt er die Verstorbenen überhaupt nur dann den Blicken der Museumsbesucher aus, wenn sich das durch die Vorstellung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse rechtfertigen läßt. In diesem Fall sind es die Röntgenbilder, die hinter den wie in einem Mausoleum aufgebahrten Verblichenen den Blick unter die jahrtausendealten Binden und die kunstvoll gestalteten Kartonagen erlauben. Ralf Leonhard

Mumien aus dem Alten Ägypten, bis 4.10., Kunsthistorisches Museum Wien