■ China: Die restriktive Nachrichenpolitik angesichts der Katastrophe
: Hochwasser und Herrschaft

Ein Jahr vor dem Tod Mao Tse-tungs brachen im August 1975 im Landkreis Wuyang in der chinesischen Provinz Henan nach tagelangen Regenfällen zwei Staudämme. Im Zhumadlan-Gebiet riß die Flutwelle 230.000 Menschen, die nicht rechtzeitig gewarnt werden konnten, in den Tod. Die auf die Präsentation des überlegenen sozialistischen Systems geölte Propagandamaschine verschwieg die bisher schlimmste Überschwemmungskatastrophe in der Geschichte der Volksrepublik China. Erst in den 90er Jahren erfuhr die Welt durch eine Hongkonger Zeitschrift von dem Unglück, das durch technisches Versagen der während der großen Wasserbaukampagnen der 50er Jahre mit einfachsten Mitteln erbauten Staudämme ausgelöst worden war.

Heute, dreiundzwanzig Jahre später, steht Millionen Menschen in der Jangtse-Region das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Die chinesischen Medien berichten zwar diesmal, doch für an westlichen Katastrophenjournalismus gewohnte Leser äußerst wortkarg. Lediglich der heroische Einsatz der Volksarmee wie auch die Präsenz führender Spitzenpolitiker vor Ort, die sich über die Rettungsmaßnahmen informieren, sind den dortigen Medien hin und wieder einige Zeilen wert.

Die Nachrichtensperre kommt nicht von ungefähr. Die Launen des Monsuns fordern die Menschen in den dichtbesiedelten Flußebenen Chinas seit Jahrtausenden heraus, und von jeher mußten sich die Regierungen auch an der Effizienz des staatlich organisierten Hochwasserschutzes messen lassen. Mehrten sich Naturkatastrophen und Deichbrüche, so nahm die Bevölkerung dies als ein Zeichen der Schwäche der Herrschenden und für einen nahen Dynastienwechsel.

Mit einigem Stolz haben die Wasserbaubehörden der Volksrepublik China immer wieder darauf verwiesen, daß es seit 1954 gelungen ist, die Hauptdeiche am Mittellauf des Jangtse zu halten und damit eine Sicherheit für die Anwohner zu gewährleisten, wie seit über hundert Jahren nicht mehr. Dies gehört zweifellos zu den Pluspunkten, die die kommunistische Regierung bei der chinesischen Bevölkerung für sich verbuchen konnte. Doch nun sind zum ersten Mal seit 54 Jahren die Deiche gebrochen. Eva Sternfeld

Die Autorin arbeitet als Sinologin in Berlin