Seoul spielt zum Ringtausch auf

■ Süd-Korea und die Asienkrise: Um die Wirtschaft transparenter zu gestalten, werden die Großkonzerne auf ihre Kernbereiche reduziert

Seoul/Berlin (taz) – Jetzt komme es tatsächlich noch dicker, als Regierung und Internationaler Währungsfonds (IWF) erwartet hätten, sagt Kang Moon Soo, Ökonom am regierungsnahen Korea Development Institute. Nach jahrzehntelangem Aufschwung mit zum Teil zweistelligen Wachstumsraten ist die Wirtschaft inzwischen völlig aus dem Tritt geraten. Im ersten Halbjahr 1998 schrumpfte die Volkswirtschaft um 3,8 Prozent und erzielte damit das schlechteste Ergebnis seit 1960. Für das Gesamtjahr rechnet die Bank of Korea mit einem Minus von sechs Prozent. Erst vor wenigen Wochen hatte der IWF seine Wachstumsprognose um drei Prozentpunkte auf minus vier Prozent hinuntergeschraubt.

Dabei ist die neue Regierung unter Präsident Kim Dae Jung stolz, wenigstens schon ein Ziel des Reformprogramms erreicht zu haben, für das der IWF im Dezember 58 Milliarden US-Dollar bereitgestellt hat: Die Devisenreserven konnten seit Dezember von vier auf 37 Milliarden US-Dollar aufgestockt werden.

„Wir werden die Krise bis zur ersten Hälfte des nächsten Jahres ertragen müssen und sollten sie dann in der zweiten Hälfte überwunden haben“, glaubt Präsidentensprecher Park Jung Ho. Probleme sieht er noch bei der neuen Rolle der Banken und Konglomerate. So sollen die Finanzinstitute künftig über die Vergabe von Krediten entscheiden – erstmals streng nach wirtschaftlichen statt nach politischen Kriterien.

Durch die IWF-Politik des knappen Geldes betragen die Zinssätze gegenwärtig um die 20 Prozent. Das treibt viele Firmen in den Bankrott. Die Weltbank hat die Regierung aufgefordert, ein kreditfinanziertes Konjunkturprogramm aufzulegen, um die Situation zu entschärfen. Während Seoul und der IWF noch über eine Ausweitung des Haushaltsdefizits verhandeln, hat der Fonds die Senkung der Zinsniveaus bereits strikt abgelehnt. Parallel dazu ist die Zahl der Arbeitslosen nach oben geschnellt. 1,5 Millionen Menschen sind ohne Erwerb, am Jahresende werden es voraussichtlich zwei Millionen sein – das entspräche einer Quote von zehn Prozent.

Im Juni hat die Regierung mit der Reform der Konzerne und des Banksektors begonnen und im ersten Schritt Listen von 55 Firmen und acht Banken vorgelegt, die sie für nicht überlebensfähig hält, darunter auch 20 Tochterunternehmen der fünf größten Konzerne. Die kriselnden Firmen und Finanzinstitute sollen abgewickelt oder mit anderen verschmolzen, elf große Staatsbetriebe privatisiert werden.

Ein Ansatz ist dabei ein staatlich unterstützter Firmentausch, auf den sich die Regierung mit dem Verband der koreanischen Industrie, dem Sprachrohr der „Chaebol“ genannten Großkonglomerate, geeinigt hat. Die Chaebol sind sowohl symptomatisch für den koreanischen Wirtschaftserfolg der letzten 30 Jahre als auch für die gegenwärtige Krise. Ihr undurchsichtiges Finanzgebaren hat dazu geführt, daß die Gefahr wachsender Verschuldung zu spät erkannt wurde. Ende vergangenen Jahres waren sie mit durchschnittlich 465 Prozent ihres Eigenkapitals verschuldet.

Der gegenseitige Austausch von Tochterunternehmen soll eine klarere Struktur in die Konzerne und die südkoreanische Wirtschaft insgesamt bringen. Statt wie bisher auf Diversifikation zu setzen und möglichst viel unter einem Dach anzubieten, sollen sich die Unternehmen auf ihre Kernbereiche konzentrieren. Eine Variante sieht vor, daß Samsung seine stark defizitäre Autoproduktion an Hyundai überträgt, dafür aber das Halbleitergeschäft der LG-Gruppe übernimmt und dann auf diesem Gebiet quasi ein Monopol hätte. Hyundai würde seinen Petrochemie- und Kommunikationsbereich an die LG-Gruppe abgeben, die auch von Samsung die Haushaltsgeräteabteilung bekäme.

Die Gewerkschaften fordern schon seit langem eine Reform der Chaebol – allerdings nicht im Sinne der nun geplanten Umstrukturierungen. Besonders der militante Gewerkschaftsbund KCTU, in dem viele der Chaebol-Arbeiter organisiert sind, wehrt sich vehement. Hauptbefürchtung: Durch die Synergieeffekte für die Unternehmen stehen den Beschäftigten Massenentlassungen bevor.

Der IWF hatte erst im Frühjahr durchgesetzt, daß die bis dato geltende lebenslange Beschäftigungsgarantie aufgehoben wurde, um Kündigungen überhaupt erst möglich zu machen. Die Gewerkschaften verweisen auf das fehlende soziale Netz und fordern eine Mitsprache bei der Reform. Die Regierung bietet ihen aber nur einen unverbindlichen Dialog in einer trilateralen Kommission. Mit den Chaebol verhandelt sie alleine. Die Gewerkschaften honorieren das mit Streikaufrufen.

„Was der IWF fordert, verlangen wir schon seit Jahren“, sagt You Jong Sung von der 25.000 Mitglieder starken Bürgerallianz für wirtschaftliche Gerechtigkeit. Nun aber sehe es so aus, als ginge es dem IWF vor allem darum, den koreanischen Markt für amerikanische und japanische Konzerne zu öffnen. Dadurch habe er viele Probleme angeheizt oder erst geschaffen. Laut You biete die Krise immerhin die Chance, „endlich ein richtiges Sozialsystem aufzubauen“. Sven Hansen

Bislang erschienen in dieser Reihe: Japan (27.7.) und Thailand (5.8.)