Ökosystem Kuhfladen

■ Rinderkot: ein Lebensraum für mehr als 200 Insektenarten

Für den Bauern sind sie ein Ent-sorgungsproblem, für die Dorfbewohnerin lästig, die Autofahrerin haßt sie und für den Städter sind sie einfach nur eklig: die Kuhfladen, die von Schleswig-Holsteins Rindern produziert werden. Doch die mehr als zwölf Millionen grünen Fladen, die die 1,4 Millionen Rinder des nördlichsten Bundeslandes täglich ausscheiden, bieten auch Lebensraum: Mehr als 200 Insektenarten leben in und mit ihnen. Das hat das schleswig-holsteinische Landesamt für Natur und Umwelt (LANU) jetzt herausgefunden.

Wenn die Masse aus Wasser, unzersetzten Pflanzenfasern und Mikroorganismen aus dem Pansen den Darmtrakt einer Kuh verlassen hat und auf einer Weide oder einer Landstraße gelandet ist, stürzen sich zunächst die goldgelb bepelzten Dungfliegen auf den Fladen. Sie werden vom Geruch angelockt und nutzen die Exkremente als Jagd-, Balz- und Paarungsrevier. Am Abbau der Fladen sind dann vor allem Käfer beteiligt. Die schwarzen oder metallisch blauen Mistkäfer der Gattung Geotrapes etwa, aber auch kleinere Käfer der Gattung Aphodius.

Sind die Fladen noch kuhwarm, so stürzen sich als erste Dungefliegen, Goldfliegen, Stechfliegen oder Schwingfliegen auf ihn. Ist die Oberfläche eingetrocknet, treten die Dungkäfer in Aktion. Ist der Kot nahezu trocken, nutzen Waffenfliegen und Schwebfliegen ihn als Lebensraum. Pilze und Bakterien, die sich ebenfalls im Dung ausbreiten, bieten ihrerseits die Nahrungsbasis für Milben, Fadenwürmer und Insekten.

Welche Konsequenzen das Fehlen von dungabbauenden Organismen haben kann, hat das Beispiel Australien gezeigt. Rinder, Schafe und Pferde waren auf diesem Kontinent nicht heimisch und damit fehlte dort die typische Dungfauna. In dem trockenen Klima blieben die Fladen deshalb jahrelang auf den Weiden liegen. Erst Ende der 60er Jahre wurden in Australien Mistkäfer aus Afrika und Südeuropa eingebürgert. Heute sorgen mehr als 20 Arten dafür, daß der Kontinent nicht im Kot erstickt.

Rüdiger Ewald