Das Outen von Tätern ist „Notwehr“

■ „Man ist und bleibt Opfer“: Der Weisse Ring und seine Vorstellung von Opferschutz

Eduard Zimmermann lächelt grüßend von der Stellwand im Hintergrund. Von dort herab warnt der Ehrenvorsitzende des „Weissen Rings“: „Jeder von uns kann schon morgen selbst betroffen sein.“ Auch Heinz Baumgart, der Hamburger Regionalbeauftragte der Opferschutzorganisation, sieht in jedem Bürger ein potentielles Verbrechensopfer. Mit dem Appell an die persönliche Betroffenheit wirbt der Weisse Ring für seinen Leit-satz: „Der Schutz der Bevölkerung hat eindeutig Vorrang vor den Individualinteressen des Täters.“

Daß in der Politik gerade umgekehrt verfahren werde, sei „unerträglich und zynisch“ und jüngst bei einem vergangene Woche in Hamburg bekannt gewordenen Fall zu beobachten gewesen, klagt Baumgart. Eine junge Frau aus Lurup war jahrelang immer wieder von einem Nachbarn vergewaltigt worden. Der wurde dafür zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Da er gegen sein Urteil Revision eingelegt hatte und das somit noch nicht rechtskräftig ist, befindet sich der geständige Täter noch auf freiem Fuß. Damit, so Baumgart, werde das „Rückfallrisiko auf die Bevölkerung abgewälzt“. Die Freiheit des Täters sei eine „Provokation für die Bürger“.

Als verfehlt bezeichnete es deshalb der Sprecher des Weissen Rings, Helmut Küster, daß der Vater der vergewaltigten jungen Frau dafür kritisiert worden war, daß er Handzettel mit dem Namen und der Anschrift des Vergewaltigers verteilt hatte. „Nicht er gehört an den Pranger, sondern der Staat“.

Das Outen von Tätern würde der Generalsekretär der Opferschutzorganisation, Dieter Eppenstein, gar als „Notwehrhandlung“ begreifen. Wer sich durch gravierende Rechtsbrüche selbst aus der Gesellschaft herausbugsiere, habe „Respekt und Rücksichtnahme verspielt“. Interessant findet der Weisse Ring deshalb ein in den USA gesetzlich eingeführtes Outing-Modell: In einzelnen Bundesstaaten seien die Kommunen verpflichtet, es öffentlich bekannt zu geben, wenn ein Sexualstraftäter in die Gemeinde ziehe.

„Man ist und bleibt nun einmal Opfer“, wirft ein Mitglied des Weissen Rings bekräftigend ein. Küster nickt zustimmend. Daß für ihn auch die Kehrseite des Satzes Bestand hat, wonach ein Täter auch immer ein Täter bleibt, belegt er mit einem anschaulichen Beispiel: In Bayern sei jüngst ein Sexualtäter nach 15 Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden. In die geschlossene Psychiatrie sei er anschließend nicht gekommen, empört sich Küster, „nur weil die Ärzte sagten, er sei nicht psychisch krank.“

Im Fall der Frau aus Lurup hofft Eppenstein, daß über die Kampagne des Vaters „Einigkeit zwischen ihm und der Tochter bestand“. Das hofft auch Gudrun Ortmann. Die Pädagogin arbeitet beim „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen“. Wenn der Vater über den Kopf seiner Tochter hinweg gehandelt hätte, wäre das „erneut eine schlimme Grenzüberschreitung“. In ihrer zehnjährigen Berufserfahrung habe sie es nicht einmal erlebt, daß eine vergewaltigte Frau mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit treten wollte. Elke Spanner