Mehr Wagner wagen

Späte Besinnung in Bayreuth: Ein historisches Symposium beschäftigt sich mit Wagners Antisemitismus. Auch Israelis drängen auf Enttabuisierung  ■ Von Manfred Otzelberger

Die Zeremonie war kurz, schlicht und ergreifend. Schon vor der Eröffnung der 87. Bayreuther Festspiele kam es im Festspielpark zu einer Denkmalsenthüllung, die viele Kritiker von Festspielleiter Wolfgang Wagner nicht für möglich gehalten hätten: Fünfzig Meter vom Königsportal und der großen Richard-Büste von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker entfernt, erinnert nun eine Gedenktafel aus Kupfer auf einem Granitblock an zwei im KZ ermordete jüdische Wagner-Sängerinnen: die Altistin Ottilie Metzger und die Sopranistin Henriette Gottlieb, die ab 1934 von den Nazis Auftrittsverbot erhalten hatte.

Wolfgang Wagner selbst fand große Worte. „Der Prozeß der Aufarbeitung muß weitergehen, wir wollen nichts abhaken und als erledigt betrachten.“ Ein paar Tage später bekennt sich der 78jährige zur „Generation der Schuldigen“ und hofft, „daß die nächste Generation von uns lernen möge, nie so passiv zu sein, etwas auszuführen, was gegen jede Moral und gegen das Menschliche gerichtet ist“.

Die Enthüllung der Gedenktafel war nur das Vorspiel zu einer Auseinandersetzung mit dem antisemitischen Bayreuth. Auf einmal kann man über all das sprechen, was lange verdrängt blieb. Das Internationale Symposium „Wagner und die Juden“, das am Dienstag in der Wagnerstadt endete, beweist es. Die Bayreuther Richard Wagner-Stiftung und die Howard Gilman Israel Culture Foundation verantworten es gemeinsam, die Tel Aviv University und die Hochschulen aus Bayreuth und Heidelberg haben es organisiert. Es ist ein historisches Treffen, das keinen kalt läßt, das heben gerade die jüdischen Vertreter hervor. Und das liegt nicht nur daran, daß Ignatz Bubis seine erste Wagner-Oper gesehen hat, den „Parsifal“. „Ich bin kein Musikkenner, Opern sind mir normalerweise zu schwer und zu lang. Daß ich mich mit Wagner lange nicht beschäftigt habe, liegt auch an meiner eigenen Verdrängung. Aber mit der Zeit verflüchtigen sich Emotionen. Wagner hat den Antisemitismus nicht erfunden, den gibt es seit 2.000 Jahren. Die entscheidende Frage ist: War Wagner der Vorläufer Hitlers, oder wurde er nur vereinnahmt?“

Avi Primor, der israelische Botschafter in Bonn, weiß darauf auch keine Antwort. Aber er erzählt bei der Symposiumseröffnung von seiner Mutter, die Deutschland 1932 verlassen hatte und ihre Familie im Holocaust verlor. Mit dem Land der Mörder wollte sie nichts mehr zu tun haben, aber sie hörte Wagner-Platten: „Was habe ich denn mit Wagners Antisemitismus zu tun? Mich interessiert nicht, daß Hitler seine Orgasmen von Wagner bekommen hat. Genauso wenig interessiert mich die politische Überzeugung meines Arztes.“ Primor will Wagner enttabuisieren, begreifbar machen. Daß viele Juden eine Wagner-Allergie haben, kann er dennoch gut verstehen: „Wagner hat den Judenhaß salonfähig gemacht, seine Musik wurde bei den Reichsparteitagen und im KZ gespielt. Das wirkt lange nach.“ Daß der Bann gegen Wagner in Israel keineswegs mit Nazi- Zensur gleichzusetzen ist, machte Yoram Dinstein, Präsident der Universität Tel Aviv, klar: „Niemand verbrennt Bücher, niemand hindert irgend jemanden, Wagner zu hören oder darüber zu lesen. Er wird nur nicht öffentlich vom Israel Philharmonic Orchestra und im staatlichen Fernsehen und Rundfunk gespielt, weil es früher Tumulte gegeben hat.“

In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird sich das ändern, meint Ami Maayani, Autor der ersten Wagner-Monographie in hebräischer Sprache: „Fünfzig Jahre nach Gründung unseres Staates ist es Zeit, daß sich das Verhältnis normalisiert. Wagner hat jüdische Freunde und Nachahmer gehabt. Er hatte ein psychologisches Problem, wollte diesen jüdischen Einfluß krampfhaft loswerden, um seinem Selbstverständnis als autonomer Künstler gerecht zu werden.“

Maayani will das Symposium bald in Israel wiederholen. Er steht auch dazu, Gottfried Wagner nicht eingeladen zu haben, den verlorenen Sohn von Wolfgang Wagner, der sich seit Jahren in Israel kritisch mit dem Wagnerischen Antisemitismus auseinandergesetzt hat. Der unbequeme Autor der Familiengeschichte „Wer nicht mit dem Wolf heult“ und Mitglied der Post-Holocaust-Dialoggruppe aus Täter- und Opferkindern war unerwünscht, begründet Maayani in der Bayreuther Zeitung Nordbayerischer Kurier seine Präferenzen: „Mir war es wichtig, Familienstreitigkeiten aus diesem Symposium herauszuhalten. Wolfgang Wagner sollte nicht nur teilnehmen, sondern sich wohlfühlen.“ Derlei Harmoniebedürfnis weckte den Zorn des Schriftstellers Ralph Giordano. „Das sind das Timbre und die Haltung einer Hofschranze, von der nichts als Liebedienerei zum Thema ,Wagner und die Juden‘ zu erwarten war, ist und sein wird.“

Doch auch in einem anderen Punkt hatte sich Maayani durchgesetzt: Die federführenden deutschen Wissenschaftler wollten anfangs vor allem „den kreativen Aspekt der Beziehungen zwischen Wagner und den Juden“ thematisieren, doch diese Entpolitisierung machten die Israelis nicht mit. Durch ihre Referatsangebote trat der Aspekt der Aufarbeitung der Rezeption im 20. Jahrhundert und des Antisemitismus der Folgezeit „stärker in den Vordergrund als beabsichtigt“, schreibt die Bayreuther Musikwissenschaftlerin Susanne Vill an Gottfried Wagner. Auch ohne den „Nestbeschmutzer“ Gottfried schwankte die Stimmung bei dem Kongreß zwischen Friede-Freude-Eierkuchen und einer unterschwelligen Gereiztheit: Die deutschen Professoren hatten solche Hemmungen, Juden bei der Diskussion an die Zeitvorgaben zu erinnern, daß sie entnervt die Diskussionsleitung an Maayani übergaben.

Die Israelis traten weder als einheitliche Delegation noch als Wagner-Henker auf. So hob Saul Friedländer hervor, daß sich Hitler in der Begründung seines Judenhasses nie öffentlich auf Wagner bezogen hatte. Die Ursache ist dem Hamburger Professor Udo Bermbach, der heftige Prügel wegen seiner zuwenig negativ wertenden Deutung von Wagners Schmähschrift „Das Judentum in der Musik“ einsteckte, natürlich sonnenklar: „Für Hitler war Wagner ein Weichling, viel zu schlaff.“ Obwohl der Meister – in heftigen Schmerzen – schon mal gefordert hatte, daß alle Juden in einer Aufführung des „Nathan“ verbrennen mögen.

Der Münchner Professor Jens Malte Fischer entlarvte es als „frommes Märchen“, daß Wagners Judenhaß sich am Ende gebessert hätte: „Wenn er 1881 schreibt, daß er der gegenwärtigen ,antisemitischen‘ Bewegung völlig fern steht, stellte er sich selbst einen Persilschein aus. Er wollte damit sagen, daß er die antisemitische Bewegung für unzureichend hielt. Außerdem hatte er Angst um seine Aufführungen und Tantiemen in Berlin, wo viele jüdische Wagnerianer lebten.“

Was bleibt am Ende von sechs Tagen Symposium? Eine weise Prophezeiung von Ignatz Bubis: „Man ist so schlau wie vorher, aber der Dialog war wichtig.“ Und ein wichtiges Detail hatte der Freud- Biograph Peter Gay immerhin herausgearbeitet: „Wagners obsessiver Judenhaß kann auch daran gelegen haben, daß er eine schlechte Verdauung hatte und nicht gut schlief, auch deshalb hatte sein größenwahnsinniges Super-Ego solche Ausbrüche. Er war nicht klinisch verrückt, aber ein Irrationalist.“