■ Die Grünen haben ein kritisch-rationales Verhältnis zur Bundeswehr entwickelt. Eine Antwort auf die Polemik von Bernd Rheinberg
: Für einen modernen Pazifismus

Vor 18 Jahren gründeten sich die Grünen aus den neuen sozialen Bewegungen – Friedensbewegung und PazifistInnen, Anti-Atom-Bewegung und Frauenbewegung. Vor diesem Hintergrund haben sich die Grünen der Gewaltfreiheit und der zivilen Konfliktprävention als politische Strategie verschrieben. Sie stellten sich bewußt in die Tradition der Ablehnung der Gründung der Bundeswehr, die ursprünglich auch von den Sozialdemokraten mitgetragen worden war. Folglich haben die Grünen friedenspolitische Wege und Ziele der einseitigen Abrüstung bis hin zur Abschaffung der Bundeswehr formuliert.

Durch intensive Diskussionen und Kontroversen innerhalb der Partei haben sie – ohne Aufgabe der Grundsatzideen – ein kritisch- rationales Verhältnis zur Bundeswehr und ihrer politisch-militärischen Führung entwickelt.

Doch von all dem will Bernd Rheinberg nichts wissen. Ihm geht es nicht um eine sachliche Diskussion der politischen Rolle der Bundeswehr, sondern um die Diffamierung von bundeswehrkritischen Positionen. Wer, wie die Grünen, die Abschaffung der Wehrpflicht und aller Zwangsdienste und Straffreiheit für Totalverweigerer fordert, stutzt unweigerlich, übernimmt Rheinberg doch gerade jene Frage, die Kriegsdienstverweigerer sich immer wieder anhören müssen: Was machen Sie, wenn die Oma, die Freundin im Wald überfallen wird? Damit vermischt er individuelle und kollektiv organisierte Gewalt und untergräbt damit die Ernsthaftigkeit pazifistischer Argumentation. So wird die Frage nach der Rolle von Militär und Außenpolitik verharmlost und entpolitisiert.

Auch die Unterstellung, „linksdogmatische Pazifisten“ seien „keine Pazifisten, sondern Antimilitaristen, die sich vor allem aus einer Mischung aus Antiamerikanismus und Antifaschismus speisen und die Bundeswehr in der Tradition der Wehrmacht“ sähen, ist pure Polemik. Kaum verwunderlich, daß Rheinberg auch der Gelöbniskampagne Rühes und der Militarisierung öffentlicher Plätze das Wort redet.

Die Gretchenfrage der Grünen lautet heute nicht, wie stehst du zur Bundeswehr, sondern was tust du zum Aufbau einer – internationalen – Infrastruktur ziviler Konfliktlösung. Die Antwort darf weder auf die Bundeswehr noch auf den Verteidigungsminister reduziert werden. Wer dies tut, akzeptiert die gefährliche politische Gewichtsverlagerung der letzten Jahre, in denen außenpolitische Fragen und Entscheidungen immer mehr in das Verteidigungsressort verschoben wurden.

Doch all diese komplexen Fragen ignoriert Rheinberg und kämpft lieber Scheingefechte, um vermeintliche politische Gegner zu diskreditieren. Oder ist es nur ein Kampf gegen Windmühlen? Was sonst kann jemanden dazu verleiten, Kritik an einem grünen Diskurs zu üben, den es gar nicht mehr gibt? Kein grünes Mitglied sagt, es gäbe heute noch einen deutschen Militarismus nach dem Kaiser- Wilhelm-Modell. Aktuell ist allerdings eine von der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr gewollte Verschiebung der Rolle der Bundeswehr in der deutschen Außenpolitik. Damit werden leichtfertig Erfahrungen einer zivil orientierten Außenpolitik aufs Spiel gesetzt. Die Grünen kritisieren nicht den „Militarismus“, sondern den dank Rühes Salamitaktik inzwischen „normal“ gewordenen Gebrauch der Bundeswehr für nationale Interessen auf internationalem Parkett.

Aus grüner Sicht ist es politisch weniger spannend, über die Bundeswehr zu diskutieren, als Alternativen zu entwickeln, die auch eine radikale Umstrukturierung und weitere Reduzierung der Bundeswehr zur Folge haben werden. Die Arbeit der grünen Bundestagsabgeordneten im „Untersuchungsausschuß Rechtsextremismus in der Bundeswehr“ hat eine differenzierte Analyse ermöglicht, die zeigt, daß die Kette rechtsextremistischer Vorfälle in der Bundeswehr Symptome für Defizite in der inneren Führung, der politischen Bildung und nicht zuletzt der Traditionspflege sind. Diese Defizite sind politisch gewollt, zumindest politisch zu verantworten. Wir haben eine Bilanz vorgelegt, die zu weitreichenden Forderungen für die Zukunft geführt hat und die auch von den – leider immer weniger werdenden – kritischen Bundeswehrangehörigen geteilt wird.

Worum es Rheinberg wirklich geht, verrät seine Behauptung, die Friedensbewegung sei ein Relikt der 80er Jahre und mit dem Ende der Blockkonfrontation überflüssig geworden. Dies erinnert an den Sprachgebrauch Volker Rühes, der noch ein kleines Stückchen weiter geht und meint, die Bundeswehr sei die größte und einzige Friedensbewegung. Rühes Polemik mündete konsequenterweise in die Aufforderung an die Grünen, ihre SympathisantInnen zu ermuntern, den Wehrdienst abzuleisten.

Beiden, dem Autor und dem Verteidigungsminister, ist entschieden zu widersprechen: Die Friedensbewegung ist gerade heute notwendig. Allein die internationalen Diskussionen zur Abschaffung von Atomwaffen, zum Ausstieg aus der Atomenergie, aber auch der von Nichtregierungsorganisationen und Friedensinitiativen erzwungene Weg zum Verbot aller Anti-Personen-Minen beweisen, daß friedenspolitische Aktionen und Strategien zur zivilen Konfliktbearbeitung mehr bewegen als alle Platitüden der Regierenden und ihrer Sprachrohre.

Die Reform der Bundeswehr und ein Wandel auf der Hardthöhe werden nicht durch die Frage entschieden, ob ein Grüner Minister wird. Wir brauchen den Politikwechsel einer rot-grünen Koalition, die die Versäumnisse der vergangenen Jahre nachholt und den Auftrag und die Struktur der Bundeswehr so gestaltet, daß sie den heutigen Aufgaben gerecht werden kann. Voraussetzung dafür ist eine Friedenspolitik, die diesen Namen verdient, eine Außenpolitik, die sich der Konfliktprävention und der Stärkung und Reform der Vereinten Nationen und der OSZE widmet. Und eine Sicherheitspolitik, die das Ende des Kalten Krieges zur Kenntnis nimmt, die personell und materiell abrüstet und den Reformwillen innerhalb der Bundeswehr stärkt, anstatt den Traditionalisten das Feld zu überlassen.

Entscheidend für eine Reform der Bundeswehr und der Sicherheitspolitik ist für uns, ob der politische Pazifismus, der die Grünen prägt, Bestandteil einer Politik wird, die die umfassende Krisenprävention durch Demokratisierung und soziale Gerechtigkeit im globalen Maßstab als Auftrag begreift. Angelika Beer