KZ-Gedenkstättenleiter aus ganz Deutschland lehnen ein zentrales Holocaust-Museum ab. Die professionellen Verwalter des Holocaust-Gedenkens streiten mit dem Gründer der „Stiftung Deutsches Holocaust-Museum“ nicht nur um Geld und Prestige. Es geht auch um zwei verschiedene, wenn nicht sogar gegensätzliche Annäherungen an dieses Kapitel der deutschen Vergangenheit. Von Patrik Schwarz

Kein Friede in der Gedenkbranche

Er hat es wahrlich schon oft genug gesagt. „Wir würden uns freuen, mit den KZ-Gedenkstätten ins Gespräch zu kommen.“ Und so, als glaube er selbst nicht recht an die Wirkung seiner Worte, sagt er es erneut, fast beschwörend diesmal. „Wenn Sie können, bitte schreiben Sie das“, diktiert der Mann dem Reporter: „Ich appelliere noch mal an die Gedenkstätten, sich mit uns zusammenzusetzen und unvoreingenommen über alles zu sprechen.“

Wenn einer so inständig zum Dialog, zum Friedensschluß aufruft, wie Hans-Jürgen Häßler es tut, dann muß dahinter ein Zwist von beträchtlichem Ausmaß stecken. In diesem Fall hat der Zwist seinen Ursprung in einer einfachen Frage. Häßler, Archäologe von Beruf, tätig am Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover, hatte sie sich vor etwa einem halben Jahrzehnt gestellt. In den USA hatte damals gerade das 60. amerikanische Museum eröffnet, das der Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden gewidmet ist. Warum gibt es in Deutschland, dem Land der Täter, so fragte Häßler, bis heute keine einzige zentrale Gedenk- und Informationsstätte für die Opfer des Holocaust?

Fünf Jahre später war aus der Frage eine Idee geworden. Heute vor einer Woche stellte Häßler auf einer Pressekonferenz in Bonn die von ihm gegründete „Stiftung Deutsches Holocaust-Museum“ vor. Unabhängig von der immer noch nicht entschiedenen Debatte um ein Mahnmal brauche die Bundesrepublik endlich ein Museum, das an den Holocaust erinnert. Ein Blick in die Liste von Häßlers Mitstreitern zeigt, daß er mit seiner privaten Initiative keineswegs allein steht: Dem Kuratorium gehört Geistesprominenz wie Günter Grass, Hans Küng und Horst- Eberhard Richter an, unter dem Stiftungsaufruf signalisieren die Namen Lafontaine, Biedenkopf und Simonis die politische Unterstützung von drei MinisterpräsidentInnen. So ganz kann sich darum Hans-Jürgen Häßler die Reaktionen auf seine Pressekonferenz nicht erklären. Ratlosigkeit ist zu spüren, wenn man ihn fragt, warum er mit seiner Idee binnen weniger Tage eine ungewöhnlich einmütige Reihe von Historikern und Museumsfachleuten gegen sich aufgebracht hat.

„Da wird über die jahrelange Arbeit von KZ-Gedenkstätten hinweggegangen, als hätten sie nie existiert“, empört sich Gabriele Camphausen, die Leiterin des Internationalen Dokumentationszentrums „Topographie des Terrors“ in Berlin. „Man tut so, als habe man das Rad neu erfunden“, beschwert sie sich. Der Historiker Thomas Rahe von der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen urteilt knapp: „Es ist genau der falsche Weg, eine neue Institution aufzumachen, während die historischen Orte verfallen.“

Für schlicht überflüssig hält der Sprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Horst Seferens, die Idee von Hans-Jürgen Häßler. „Alle Aufgaben, die das Museum übernehmen möchte, werden bereits von den Gedenkstätten übernommen“, sagt Seferens, dessen Stiftung unter anderem das ehemalige KZ Sachsenhausen betreut. Auch bei Thomas Lutz stößt das Museumskonzept auf Ablehnung. „Da stecken jede Menge Luftnummern drin“, meint der Geschäftsführer des bundesweiten Zusammenschlusses der KZ-Gedenkstätten. Im übrigen, so Lutz, „haben die Initiatoren nie wirklich das Gespräch mit den Gedenkstätten gesucht“.

Spätestens wenn man Hans-Jürgen Häßler von dem letzten Vorwurf erzählt, ist ihm anzumerken, daß er innerlich zusammenzuckt. „Das Gesprächsangebot von unserer Seite steht schon seit langem“, sagt er dann, und seine Stimme klingt verletzt. Thomas Lutz von der Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten beharrt auf seiner Darstellung: „Immer wenn konkrete Termine vereinbart waren, hat Herr Häßler kurzfristig abgesagt.“ Und wie das so ist, wenn zwei sich streiten, reduzieren sich die Argumente recht schnell auf den Abtausch der Anwürfe: „Du bist schuld“ – „Nein du“.

Irgendwann im Reigen der wechselseitigen Klagen merkt man aber selbst als Unbeteiligter, daß das Unverständnis zwischen den Gedenkstätten und der Stiftung Deutsches Holocaust-Museum tiefer reichen muß als der Verdruß über verpaßte Termine und verletzte Eitelkeiten. Fragt man den Gedenkstätten-Koordinator Thomas Lutz nach dem Kern des Problems, spricht er von „inhaltlichen Gründen“ und fügt an, darum sei auch niemand aus der Gedenkstättenarbeit zu einer Mitarbeit in der Stiftung bereit gewesen.

Nun herrscht zwischen den Gedenkstätten und der Stiftung Deutsches Holocaust-Museum tatsächlich eine Art Konkurrenz der Konzepte: hier die ehemaligen Konzentrationslager, dezentral und eigenständig verwaltet, an den authentischen Orten des Geschehens verwurzelt, der besonderen Geschichte dieses Ortes verpflichtet; dort ein Zentralmuseum, womöglich in einem Neubau in Berlin (Weimar hat bereits abgelehnt), geprägt von einem gewissen Generalvertretungsanspruch für den Holocaust.

Und so gibt es durchaus eine Reihe bedenkenswerter politischer und konzeptioneller Einwände gegen ein Museum, das an die Shoah erinnert (siehe Beitrag unten). Trotzdem scheint es fast, als würden diese in erster Linie zu Geschossen in einem Schlagabtausch, der andere Ursachen hat als das Ringen um den angemessenen Umgang mit dem Holocaust. So entscheidet zum Beispiel in der Zeit knapper werdender Mittel die Frage, wie das Gedenken an den Holocaust gestaltet wird, immer auch darüber, wer dabei die Fäden in der Hand halten darf.

Mehr als 50 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft ist der Umgang mit dem Holocaust in Deutschland zum Mittelpunkt einer Branche geworden, über die der Publizist Henryk M. Broder spottet: „There is no business like Shoah business.“ Drei Millionen Besucher verzeichnen allein die KZ-Gedenkstätten pro Jahr. Bundesweit beschäftigt eine zunehmende Zahl von privaten Initiativen, kommunalen Einrichtungen, Uniprojekten und Länderinstitutionen Hunderte von Mitarbeitern, die sich der Erforschung, Dokumentation und Präsentation des Holocaust widmen. Während des letzten Jahrzehnts, so könnte die Bilanz lauten, hat sich das Gedenken auch finanziell durchaus als Wachstumsbranche erwiesen.

Trotzdem hat Hans-Jürgen Häßler wohl recht, wenn er seinen Widersachern bei den KZ-Gedenkstätten unterstellt: „Ich denke mal, die sehen uns als Konkurrenz. Und wir wollen immer wieder klarmachen, daß das nicht so ist.“ Schließlich sei die Bundesrepublik „ein solch reiches Land, da können wir Aufklärung nicht davon abhängig machen, ob es zwei BAT II- Stellen mehr gibt!“.

Doch auch Initiativen zum Gedenken an den Holocaust sehen sich längst einer harten Konkurrenz um öffentliche Förder- wie private Spendengelder ausgesetzt. Bereits jetzt sind die Mittel denkbar unterschiedlich verteilt – und den Geldströmen folgt meist das Prestige. Momentan investieren der Bund und das Land Berlin 45 Millionen Mark allein in den Neubau des Dokumentationszentrums „Topographie des Terrors“ auf dem Gelände des NS-Reichssicherheitshauptamtes. Gleichzeitig klagen kleinere Projekte wie das ehemalige KZ Sachsenhausen über eine völlig unzulängliche materielle und personelle Ausstattung. Ein Museum bedeute „enorme Kosten im Unterhalt, während an den authentischen Orten nicht ausreichend Mittel vorhanden sind, die Stätten zu erhalten“, kritisiert Horst Seferens, zuständig für Sachsenhausen und Ravensbrück.

Was der Bau eines Holocaust- Museums kosten würde, läßt sich derzeit nicht einmal absehen. Die Stiftung hofft auf Geld vom Staat ebenso wie aus der Wirtschaft. „An Verteilungskämpfe habe ich da gar nicht gedacht“, wehrt Topographie-Leiterin Camphausen den Verdacht ab, Eigennutz könnte eine Rolle spielen bei ihrer Ablehnung der Pläne für ein Museum.

In jedem Fall sind die Gegner des Holocaust-Museums im Vergleich zu den Befürwortern in einer überlegenen Position: Solange sie zu verhindern vermögen, daß aus Hans-Jürgen Häßlers Hoffnung ein Haus wird, haben sie gewonnen. Was also nützt Häßler die Unterstützung von Biedenkopf bis Lafontaine? Museumsgegner Rahe: „Die Politiker haben einfach ihren Namen unter ein Papier gesetzt, das moralisches Renommee verspricht, ohne daß es sie einen Pfennig kostet.“