Diktatoren irren nicht

■ Nach dem von Nazis und Kommunisten begehrten Kunstschmied Fritz Kühn will Treptow eine Straße benennen

Im Osten kennt ihn fast jeder. Der Westler hingegen muß erst einmal in dem Büchlein „Wer war wer in der DDR?“ nachschlagen: Fritz Kühn, geboren 1910, Gründung einer Kunstschmiede 1937, Wiederaufbau der Werkstatt nach 1945, Nationalpreis 1954, Ernennung zum Professor 1964, gestorben 1967. Populär wurde er in Berlin vor allem durch den Brunnen auf dem Strausberger Platz und die Tür der Berliner Stadtbibliothek, die in 117facher Variation den Buchstaben A zeigt. Addiert man die Werke seines Sohnes Achim Kühn hinzu, der die Werkstatt fortführte, schufen die Kühns allein in Ost-Berlin zwischen 1947 und 1989 insgesamt 170 Werke.

Sie alle entstanden in der Werkstatt im Treptower Stadtteil Bohnsdorf. Dort gibt es aber nicht nur die Kühnsche Kunstschmiede, sondern auch eine ganze Reihe von namenlosen Straßen. Die Straße 955 führt durch eine Reihenhaussiedlung. Sie beginnt am unscheinbaren Sandowitzer Platz, unterquert die Autobahn und endet an der Landebahn des Schönefelder Flughafens.

Was also lag näher, als die Straße 955 in eine Fritz-Kühn- Straße umzuschmieden – und auf diese Weise nicht nur die Briefköpfe der Anwohner aufzuwerten, sondern auch „einen der genialsten Metallgestalter weit und breit“ zu ehren, wie Treptows Bürgermeister Siegried Stock (SPD) sagt. Gedacht, getan: Bezirksverordnete aller Fraktionen stimmten für den Namenswechsel.

Dummerweise aber hatte Kühn im Archiv der Charlottenburger „Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892“ ein paar Spuren hinterlassen, die deren Mitarbeitern weniger ruhmreich erschienen als sein künstlerisches Schaffen. „Kühn hat während des Zweiten Weltkrieges für die Rüstungsindustrie gearbeitet“, sagt Andreas Böhm, der gemeinsam mit zwei Kollegen gegen den neuen Straßennamen klagt.

In mehreren Schreiben an den Berliner Spar- und Bauverein, den Vorgänger der Genossenschaft, hatte Kühn zwischen 1940 und 1943 sowohl zusätzliche Räume für seine Werkstatt als auch eine größere Wohnung verlangt. „Ich habe große Wehrmachtsaufträge“, untermauerte er sein Begehren, „mein Hauptauftraggeber ist der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, welcher auf Lieferung drängt.“ In seiner Wohnung habe er „des öfteren hohe Persönlichkeiten“ zu empfangen.

Ganz uneigennützig ist die Empörung der drei Kläger freilich nicht. Schließlich klagt die Genossenschaft auf Rückübertragung eines Grundstücks, das Kühn 1957 erworben hatte, obwohl das Ost- Vermögen der West-Genossenschaften auch nach damaligem DDR-Recht nicht verkauft werden durfte. Erst nach einer Intervention von Magistrat und Kulturministerium war der eingesetzte Treuhänder zum Verkauf bereit. Die Rückübertragung wurde vor zwei Jahren dennoch abgelehnt: Zwar sei das Grundstücksgeschäft „als manipulativ stigmatisiert“, doch habe Kühn „von der Manipulation nichts wissen müssen“. Für Kläger Böhm zeigt die Episode dennoch, daß sich Kühn nach dem Krieg in bester Wendehals-Manier bei den neuen Machthabern angebiedert habe.

Bürgermeister Stock sieht darin noch keinen Grund, die Entscheidung des Bezirks zu revidieren. Daß sich „Diktaturen sehr gerne der Kühnschen Kunst bemächtigt haben“, beweist nach seiner Ansicht gerade deren „künstlerische Qualität“. Während des Krieges habe der Künstler in seiner Werkstatt „unter Garantie nicht die V2-Rakete geschmiedet“. Stock räumte freilich ein, wegen seiner Begeisterung für „diesen wunderbaren Künstler“ womöglich „ein Quentchen befangen“ zu sein.

Ob mit oder ohne Straßennamen – vom nächsten Jahr an wird Kühn auch im Westen populärer sein. Für den Sitzungssaal im Staatsratsgebäude, das künftig als provisorisches Kanzleramt dient, schuf Kühn eine Stahlwand. Vor der Kulisse aus eingeätzten Kraftwerken und Friedenstauben tagt dann das Bundeskabinett. Ralph Bollmann