Jahrelange Jugendstrafe für die Kinderkillerkinder

■ Die zwölf- und vierzehnjährigen Todesschützen von Arkansas kommen mindestens bis zu ihrem 18. Geburtstag ins Gefängnis. Ihr Anwalt will gegen das Urteil in die Berufung gehen

Washington (taz) – Das hatte er nicht gewollt, erklärte Mitchel Johnson, der an diesem Tag 14 Jahre alt wurde, kurz vor der Urteilsverkündung. Sie hatten eigentlich niemanden verletzen und nur über die Köpfe hinweg schießen wollen, er und sein Freund, der 12jährige Andrew Golden. Aus einem nahen Wäldchen hatten die beiden am 24. März dieses Jahres auf ihre Mitschüler geschossen, die sie durch Auslösen des Feueralarms auf den Schulhof gelockt hatten. Vier Mädchen und eine Lehrerin wurden getötet, neun Schüler und ein weiterer Lehrer wurden verletzt.

Am Dienstag wurden die beiden Jungen verurteilt. „Die Sühne kann der Schuld nicht entsprechen“, sagte Richter Wilson und verurteilte die beiden zu Jugendarrest bis zum ihrem 18. Geburtstag. Damit käme der ältere von beiden in vier und der jüngere in sechs Jahren frei.

Der Richter ließ die Möglichkeit zu, die beiden bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres einzusperren, vorausgesetzt, der Bundesstaat Arkansas baue dafür eigens ein Gefängnis, denn nach dessen Jugendstrafrecht dürfen Jugendliche weder über das 18. Lebensjahr hinaus in einer Jugendstrafanstalt festgehalten noch in ein Gefängnis für Erwachsene eingeliefert werden.

Der Gouverneur von Arkansas will entweder tatsächlich ein solches Gefängnis bauen oder ein bestehendes so umbauen, daß es den gesetzlichen Anforderungen genügt.

Der Anwalt von Andrew Golden will in die Berufung gehen. Sein Mandant sei überhaupt nicht strafmündig, er verstehe weder, was er getan habe, noch, worum es bei der Verhandlung gegangen sei.

Bei Jugendgerichtsverhandlungen sind auch in Arkansas die Öffentlichkeit und die Medien ausgeschlossen, doch in diesem Falle hatte der Richter eine Ausnahme gemacht und hundert Angehörige von Opfern zugelassen. Mitchel Wright, der Ehemann der erschossenen Lehrerin Shanon Wright, wandte sich als Zeuge der Anklage direkt an die beiden Jugendlichen. Er sprach von seinem drei Jahre alten Sohn Zan, der jeden Abend nach seiner Mutter frage und nicht verstehen könne, warum sie nicht wenigstens zur Schlafenszeit aus dem Himmel, wo sie jetzt ist, nach Hause komme. Kein Wort glaube er ihnen, wenn sie sagten, sie hätten unbeabsichtigt ein derartiges Massaker angerichtet. Die Jagdgewehre, die die Jungs dem Großvater des einen gestohlen hatten, waren mit Zielfernrohren ausgestattet.

Der Fall war klar, die Beweisführung einfach, die eigentliche Frage aber blieb in diesem Fall so unbeantwortet wie in all den anderen, bei denen in letzter Zeit Kinder und Jugendliche auf Altersgenossen und Mitschüler geschossen hatten. Von den vier Schulmassakern dieses Jahres – Pearl/Mississippi, West Paducah/Kentucky, und Spingfield/Oregon, war das in Jonesboro/Arkansas das schlimmste. „Auf die Warumfrage“ habe er „keine Antwort“, sagte Mitchel Johnsons Vater mit Tränen in den Augen der New York Times.

In den Vereinigten Staaten, einem Land, in dem immer häufiger Mordopfer mit ihren Teddybären zu Grabe getragen werden, während ihre Mörder vor Gericht am Daumen nuckeln, ist das Blutbad von Arkansas nicht einmal das grauen- und rätselhafteste. Seit Montag stehen in Chicago ein 7- und ein 8jähriger Junge vor Gericht, weil sie im Juli ein 11jähriges Mädchen mit einem Stein bewußtlos geschlagen und anschließend sexuell mißbraucht hatten. Die beiden wollten das Fahrrad des Mädchens haben. Peter Tautfest