„Aber das machen doch alle“

■ Am Sonntag starten zum dritten Mal die HEW-Cyclassics - bestens vermarktet und ungedopt

Die Formulierung liest sich wie blanker Hohn angesichts der Meldungen, die da im Juli fast tagtäglich aus Frankreich herüberwehten und das schönste und schwierigste Radrennen der Welt in eine „unsägliche Doping-Tortour de France“ (Süddeutsche Zeitung) verwandelten. Die Entscheidung, den Radsport verstärkt zu unterstützen, ließ der Bierbrauer Warsteiner – in diesem Jahr erstmals Prämiensponsor bei den am Sonntag stattfindenden HEW-Cyclassics – ungerührt verbreiten, gründe auf dem „überaus sauberen Image“ des Velo-Treibens. Ist aber der so begehrte „positive Image-Transfer“ nicht auf der Strecke steckengeblieben, wenn leere Ampullen in Müllcontainern und unwürdige Verhörpraktiken unliebsame Umwege erzwingen?

Nein, Schadensbegrenzung ist für Christian Toetzke noch kein Thema an diesem vorletzten Freitag im Juli. Es ist der Tag, an dem der Festina-Radprofi Armin Meier vor laufenden Kameras auf die Frage, wie lange er schon das verbotene Dopingmittel EPO genommen habe, geknickt drei Worte sagt: „Seit zwei Jahren.“ Das weiß der Geschäftsführer der Veranstalter-Agentur „Upsolut“ noch nicht, als er zum Thema des Tages die beliebten Versatzstücke variiert. Da ist von den „härtesten Kontrollen“ die Rede, von den „schwarzen Schafen“, von der „Vorreiterfunktion des Radsports“, der jetzt ja sogar Preisgelder in Anti-Doping-Maßnahmen investieren wolle, auch vom „Ehrenkodex“ der Fahrer.

„Die ganze Geschichte jetzt so hochzukochen, als Problem des Radsports, halte ich für völligen Unsinn“, sagt Toetzke. Wenn schon, dann müsse „der Sport allgemein“ und damit auch „unsere Gesellschaft“ auf den Prüfstand. Ergebnis? „Wir sind nun mal 'ne Leistungsgesellschaft, es geht um viel Geld.“ Hat nicht bei einer Umfrage eine große Mehrheit der US-Olympioniken zu Protokoll gegeben, sie würden für eine Goldmedaille auch schwere gesundheitliche Schäden in Kauf nehmen? Hat nicht neulich sogar der Kanzler gesagt, die Menschen sollten nicht mehr so viel „krankspielen“? Toetzke: „Die schleppen sich mit irgendwelchen Mitteln ins Büro, damit sie nicht ihren Job verlieren. Das ist doch im Kleinen das gleiche, was im Sport passiert.“ Es werde zuviel „moralisiert jetzt, als ob gerade die Radrennfahrer besonders schlechte Menschen wären, weil sie die Möglichkeiten ausreizen, um Erfolg zu haben. Aber das machen doch alle.“

Ein kleiner Schatten wird schon fallen auf eine Veranstaltung, die sich innerhalb von nur drei Jahren als bundesweit größte ihrer Art einen Platz an der Sonne gesichert hat. Natürlich profitierten die Cyclassics beim Popularitätsschub im letzten Jahr von der Hysterie um Jan Ullrich. Doch das clevere Konzept, gemeine Amateure und gestandene Profis getrennt, aber irgendwie doch gemeinsam auf die Strecke zu schicken, war da schon aufgegangen. 1995, als die Planung für das Debüt im Jahr darauf in Angriff genommen wurde, standen die Zeichen für den Radsport ja nicht gerade auf Grün. Das Team Telekom stand nach beträchtlichen Anlaufproblemen kurz vor dem Aus, und der Jungprofi Jan Ullrich gab allenfalls Insidern Anlaß zu schönen Hoffnungen.

Doch so kämpfen die Profis 1998 zwischen Binnenalster, Köhlbrandbrücke und Waseberg erstmals auch um Weltcup-Punkte, und die HEW-Cyclassics rücken damit zumindest nominell in eine Reihe mit legendenumwobenen Frühjahrs-Klassikern wie Mailand-San Remo und Paris-Roubaix. Toetzke und sein Team haben verstanden: Wo keine Tradition lebt, wo nicht in jeder Kneipe gefachsimpelt wird, muß ein „Event“ her, eine Mixtur aus Show, Werbung und Sport, gut austariert, versteht sich, denn es darf „gar nicht erst aufkommen“, dieses Gefühl, „die Werbung drängt den Sport an den Rand“.

Es ist bezeichnend, daß Hamburg – vorher nicht gerade als Velo-Hochburg aktenkundig – das Rennen gemacht hat im vermeintlichen Radsport-Boomland Deutschland. „Ehrenamtliche Strukturen aus der Vergangenheit“, weiß Toetzke, „sind heute beim Geschäft mit dem Sport nur hinderlich.“ Der Upsolut-Vorsteher verweist auf das Traditionsrennen „Rund um Köln“, das Anfang Mai nach Querelen zwischen Veranstalter und Sponsoren sogar kurzfristig abgesagt werden mußte. Toetzke: „Die Firmen erwarten einfach Professionalität auf der Gegenseite. Und das mit Ehrenamtlichen, die sich vielleicht drei Monate vorher mal zusammensetzen, nicht mehr machbar.“

Die HEW als Titelsponsor haben jedenfalls aufs richtige Pferd gesetzt und schon im letzten Jahr einen, so Toetzke, „kommunikativen Gegenwert von ca. 1,8 Millionen DM gehabt – was ein Vielfaches von dem ist, was sie tatsächlich bezahlen“. 1998 dürfte der Werbe-Ertrag für den Energiedienstleister bei mehr als verdoppeltem Gesamtetat der Veranstaltung (2,9 Millionen) noch üppiger ausfallen, zumal SAT 1 nicht länger umhin konnte und zwei Live-Stunden „ran“ ans bisher kaum gepflegte Rennrad darf. Die Traum-Quoten der ARD bei der letztjährigen Tour de France hatten die Privatsender zwar unter Zugzwang gesetzt, doch ein Selbstgänger sei die TV-Kooperation auch nicht gewesen. Den Zuschlag habe erst ein Konzept ermöglicht, das, so Toetzke, „über sechs Monate verteilt Top-Events“ garantiere, die „unabhängig von der sportlichen Kategorie viele Zuschauer anlocken“. Darunter erstmals eine Deutschland-Rundfahrt im nächsten Frühjahr, die der Marketing-Mann präventiv schon mal zur „Love-Parade des Radsports“ erklärt hat. Er arbeite „ja gern mit Metaphern. Und mit dem Erfolg, den wir bei den Cyclassics haben, konnten wir das gut verkaufen.“

Das Argument, bei der Fokussierung von Medien wie Geldgebern auf Ullrich und Telekom fielen die zweite Reihe und auch der Nachwuchs hinten runter, läßt Christian Toetzke nicht gelten. Umgekehrt werde gerade ein Rennschuh draus: Nur die Spitze mache die Breite überhaupt möglich. „Wenn ich mich als Partner des Radsports durch ein Event-Sponsoring positioniert habe, dann ist strategisch in jedem Unternehmen sinnvoll zu sagen: So, jetzt geben wir noch einen Betrag Y in die Nachwuchsförderung.“ Die Etats für den Radsport seien jetzt jedenfalls da, und dann „sind auch 30.000 DM für die Jugend übrig“. Es gehe „immer von oben nach unten – wie bei einer Sanduhr“, weiß Christian Toetzke und prognostiziert „gute Zeiten für den Radsport“. Trotz allem. Trotz allem?

Jörg Feyer