Kapitalistische Eiterbeulen kurieren

Retro-Futurismus, Aktivismus, Dada und alles als Tonkunst: Felix Kubin  ■ Von Holger in't Veld

Juri Gagarin lebt noch. Was heißt noch – er wird immer leben. Der Pionier des Weltraums hat irdische Determinanten wie Raum und Zeit hinter sich gelassen und orbitet in grenzenloser Freiheit durch die Systeme. Glücklicher Mensch! Muß er doch nicht wie wir in diesem postmodernen Sumpf der Beliebigkeit nach Wahrheit und Luft schnappen.

Doch die Situation ist nicht hoffnungslos – Gagarin hat Kontakt aufgenommen. Vollstrecker seiner Ideen ist Felix Knoth, ein junger Hanseat, der sich in Gagarins Auftrag als Felix Kubin in die Öffentlichkeit stellt. Geboren auf Sirius (wie übrigens auch Karl-Heinz Stockhausen), beglückt er seit 15 Jahren die Hamburger durch einen Aktivismus, der durch die Gründung einer eigenen Plattenfirma im Juni dieses Jahres auf eine neue Stufe gehoben wurde. Erste Veröffentlichung der selbstverständlich Gagarin Records benannten Tonträgerkörperschaft ist eine Sammlung von Filmmusiken des Impresarios selbst.

Moderne Klassik, zierlicher Moog-Pop und Musique Concrète vereinen sich zu gleichen Teilen, durchbrochen von geheimnisvollen Stimmen. Das ist Tonkunst, auf die das in Mode gekommene Wort vom Retro-Futurismus ausnahmsweise zutrifft. Der Futurismus ist es auch, der eine große Faszination auf Kubin ausübt, wobei er im Politischen wie im Ästhetischen den ironischen Gestus des Dada vorzieht. Dada bedeutet für diesen Meister der Selbstinszenierung Aktion und Anarchie, umgesetzt in Auftritten und Tondokumenten seiner Formation Klangkrieg und nicht zuletzt Radio Gagarin, jener zweiwöchentlichen Sendung beim Freien Sender Kombinat (FSK) wo er mit anderen Protagonisten der lokalen Keller-Avantgarde höchst unterhaltsamen Irrsinn produziert.

Felix Kubin ist ein Künstler, natürlich, der seine Ausbildung an der Armgartstraße in ein Höchstmaß kultureller Brandstiftung umgesetzt hat. Seine Bewunderung gilt Zeiten von Umbruch und Übergang, Dekadenz, KuK. Das Ghetto, in dem die Kunst so oft gefangen ist, soll durchbrochen werden. Was bekanntlich nur funktioniert, wenn auch Menschen zuhören, die schockiert werden können. Kubin ist, je nach Standpunkt, ein Zulieferer des Systems oder ein Optimist, der auf Zusammenschluß und Vernetzung baut; er will mit EinzelkämpferInnen rund um den Globus durch Musik das Business unterlaufen.

Ein Vorgehen, dessen Agitation gegen den Kapitalismus als künstlerisches Prinzip zu verstehen ist – das „traurige Sirren der Protonen“ im Kampf gegen die dunkle Seite der Macht. Spielfilme scheinen nicht ausgeschlossen, es gibt viel zu tun. In seinen Worten ausgedrückt: Unsere durch die Omnipräsenz von Werbung wäßrig gewordenen Seelen verlangen nach Essenz.

Felix Kubin, in St. Georg ansässiger Abgesandter des Gagarin, ist unterwegs, um mit Kultur kapitalistische Eiterbeulen aufzustechen. Und dabei möglichst gut auszusehen.

„Radio Gagarin“ läuft jeden zweiten Freitag auf FSK (93,0 MHz). Nächster Termin: heute, 20 Uhr