Speckschlacht am Kai

■ Ein Lesebuch zur Sozialgeschichte des Hafens 1914 – 1933

Der Hafen: das ist nicht nur Hamburgs vielbeschworenes wirtschaftliches Herz, sondern vor allem ein maßgeblicher politischer Faktor. Mögen grundlegende Entscheidungen auch in Chefetagen und im Rathaus fallen: immer spielen die arbeitenden Menschen als einflußreiche Kraft ihre Rolle im politischen Geschäft. Ob es die Kranführer, Schauerleute und Containerfahrer der Gegenwart sind oder Kaiarbeiter, Ewerführer und Bunkerleute in früherer Zeit – die Hafenarbeiter machten sich vor Ort bemerkbar, wenn man sie zu ignorieren versuchte.

Die Geschichte des Hamburger Hafens ist daher zugleich auch die politische Geschichte vom Leben der Menschen an der Elbe. Klaus Weinhauer hat sich auf die mühevolle Suche begeben, hat in den Aktenbergen des Staatsarchivs und alten Zeitungen für seine Sozialgeschichte der Hafenarbeiter die Spuren proletarischer Vergangenheit zusammengetragen. Den thematischen Bogen spannt er weit: Betriebsordnungen und Lohnverhältnisse, Arbeitsvermittlung und politische Organisation, Arbeitssicherheit, Ausstände – je genauer man hinschaut, desto vielgestaltiger und turbulenter waren die zwei Jahrzehnte zwischen Kriegsbeginn und dem Ende der Weimarer Republik.

Doch es geht dem Autor nicht nur um die Geschichte großer Streiks oder empirische Darlegung von Beschäftigtenzahlen und LohnentwicklungImmer wieder nimmt er den konkreten Alltag in den Blick, beschreibt Aspekte der eigenwilligen Machtkämpfe: Da spielten die Betriebe „ständige“ Arbeiter gegen „unständige“ aus, um politisch aktive Leute loszuwerden. Bei Streiks wurde versucht, in Obdachlosenasylen Arbeiter zu werben, und regelmäßig boykottierten Organisierte die Arbeitsvermittlungsstellen. In solchen erzählten Szenen wird die Vergangenheit lebendig.

Vieles mag so klingen, wie man es vom sonstigen organisierten Proletariat, von Gewerkschaften oder der Sozialdemokratie her kennt. Doch die Hafenarbeiter an der Elbe hatten eigene Protest- und Widerstandsformen entwickelt, sich individuelle Rechte gesichert – und das forderte immer wieder den Druck von oben heraus. Besonders im Hungerjahre 1919 besserten sie ihre knappen Löhne durch Naturalien aus den Schiffsladungen auf. Als strenge Kontrollen diese halblegale Praxis unterbinden sollten, kam es im Juni zur sogenannten „Speckschlacht“: nach Schichtende wurden die Arbeiter beim Verlassen der Hafenfähre in St. Pauli gefilzt – voller Wut schmissen sie daraufhin 800 Kilo konfiszierten Speck durch die Gegend. Und während am nächsten Morgen der Glitsch mit Sand abgestreut werden mußte, traten die Schauerleute in einen Streik. Aus Solidarität.

Weinhauer gelingt der Spagat zwischen statistisch-historischer Empirie und konkretem Bericht – ganz im Interesse seiner Leserschaft. Nur hätte es nicht schaden können, auch hin und wieder mal ein Bild abzudrucken; Fotos aus dem Arbeitsleben im Hafen gibt es nämlich haufenweise. Aber wie auch immer: dieses Buch erschließt einen bedeutenden Bereich hamburgischer Geschichte und wird auf längere Sicht ein Standardwerk bleiben. Kay Dohnke

Klaus Weinhauer: Alltag und Arbeitskampf im Hamburger Hafen. Sozialgeschichte der Hamburger Hafenarbeiter 1914 – 1933, Paderborn: Schöningh 1994; 420 S., 78 Mark