Flaniermeile Jahresausstellung

Es ist kaum möglich, die Jahresausstellung der Hochschule für bildende Künste ernsthaft als Kunstausstellung zu würdigen. Denn naturgemäß hat sie kein Konzept, besitzt weder Rahmen noch Zügel, schwankt in der Qualität von ärgerlich bis amüsant und zwingt wegen der Masse des Ausgestellten nach wenigstens vier Fluren zur Unkonzentriertheit. Prompt fühlt man sich wie auf einer Pudelleist-ungsschau, wo man nach einiger Zeit nur noch Hunde sieht.

Betrachtet man das alljährliche Hose-runter-Lassen der Kunst-, Architektur- und Designklassen dagegen in den Reaktionen der Besucher, so entwickeln sich Romane, Romanzen, Karikaturen vor den Augen, Fäden, die sich verknäulen, vertäuen, zerreißen – Beobachtungen, wie sie nur ein solcher Ort zuläßt, wo eine natürliche Durchschnittlichkeit voller Selbstbewußtsein auf eine kleine Klientel von Beobachtern stößt, die die offensichtlichen Wunden und Wunder zum Anlaß für Unterhaltung nehmen.

Eine solche Betrachtung spart selbstverständlich konzeptuelle und nach Versenkung schreiende Arbeiten aus, denn vor diesen döst der Intellekt im Singular oder registriert sie nur flüchtig als Seitenarm eines übergroßen Schaubildes. Aber Sinn einer solchen Betrachtung ist es ja auch nicht, die Kunst zu bewerten (Deswegen werden im folgenden auch weder Künstler- noch Klassennamen genannt).

Folglich sind es die interaktiven oder spektakulären Momente, die zu den Versammlungen gegenseitig Unbekannter führen, welche über das Dargebotene in kurze Gespräche verfallen, die sich teilweise an späteren Orten wiederholen, weil man sich auf seinem Weg ja stets wiederbegegnet.

Da ist die Teddy-Folter-Maschine im Keller. In einer Form kostenpflichtiger Demokratie kann man durch den Einwurf eines Groschens und das Drücken einer Taste für oder gegen den Teddy ein Abstimmungsergebnis darüber erzielen, ob des kleinen Deutschen liebster Bettgefährte zwischen zwei Nagelbretter gequetscht werden soll. Leider funktioniert die Maschine am dritten Tag bereits nicht mehr, nimmt zwar brav Groschen an, setzt aber die eindeutigsten Abstimmungsergebnisse nicht in Teddyqualen um. Da hilft kein Fluchen und kein Rufen nach dem Geschäftsführer. Statt dessen hat man sich mit allen an der Abstimmung Beteiligten und diversen Neugierigen über den lustigen Spielautomaten ausgetauscht und teilt jetzt grummelnd den Frust über die entgangene Belohnung für zehn Minuten Warten.

Einige Klassen weiter entspinnt sich eine kurze Diskussion, ob der neu gestylte Motorroller mehr wegen seines schnittigen Designs bewundert oder wegen seiner Einsitzigkeit als asexuell abgelehnt werden soll. Und überhaupt sind alle Arten von Maschinchen die größten Anziehungspunkte für zufällige Kommunikation. Die Farb-Umpump-Installation, weil sie nicht funktioniert, die Kopfbürst-Haube, wie sie es tut, die Sammlung von architektonischen Illusions-Kistchen, weil ihr Hersteller jedem ungebeten, aber freundlich ihr Prinzip erklärt, oder die Super-8-Endlosschleifen mit lustigen Aufnahmen von Windrädchen auf Nachbars Balkon oder einem Betontrog mit Stiefmütterchen.

Bei den Architekten stößt man dann auf jene Form von Wichtigtuern, die ihre eigenen Anfängererfahrungen in ekelig generösen Betrachtungen über das Werk jüngerer Studenten recyclen: „Die haben ja wirklich einen Sprung gemacht. Diese Aufrisse sind ja schon viel besser als im letzten Jahr.“ Undsoweiterundblabla. Es erübrigt sich hinzuzufügen, in welcher Lautstärke derartige Peinlichkeiten allen Umstehenden zugemutet werden. Tod der eitlen Fachsimpelei!

Unterm Dach treffen sich dann einige derjenigen wieder, die im Keller zufällig gemeinsam den Rundgang begonnen haben, um in eine Kriechröhre zu krabbeln, die hinter einem Fenster in der freien Luft ohne Netz und doppelten Boden endet. Hier tauscht man sich über seine Höhenängste aus oder amüsiert sich über seine Vorgängerin, die in dem Holztunnel trotz Durchzug eine derartig strenge Note ihre Parfüms hinterlassen hat, daß man geneigt ist zu glauben, sie verbrauche einen Flakon „Budnikowski-Hausmarke“ pro Woche.

Nach drei Stunden ruht man sich dann in Fritz Schumachers Treppenhaus mit einem zufällig getroffenen Bekannten aus und diskutiert vor der ohrenbetäubenden, wiewohl fertigen Schallkulisse einer Ein-Mann-Rock-Band aus dem Keller, welche der Jahresausstellungen der letzten Jahre die beste war. Aber das Ergebnis dieser Kommunikation, das gehört nicht mehr hierher. Till Briegleb