Motzki und Wenderoman

■ Erzählungen, Drehbücher und den Roman zu 1989 / Ein Porträt der Autorin Anke Gebert

Einen Wenderoman will sie schreiben. Nichts Geringeres. Woran sich Günther Grass vergeblich versuchte und Erich Loest – um dessen Nikolaikirche die Bulldozer der Literaturkritik bislang noch einen Bogen fahren – verausgabte, gedenkt sich die Jungautorin Anke Gebert zu wagen. Demnächst. Im September hat sie ihre erste Erzählung Hunde, die bellen vorgelegt.

Sanft wiegt sich der Ohrensessel vor und zurück. Im karierten Polster eine Frau, Mitte dreißig. Die Beine sind locker übereinandergeschlagen. Ihr rechter Fuß pendelt in wandelndem Tempo hin und her.

Gern sieht sie beim Schreiben mit den Augen ihrer Figuren. Schildert wirre innere Monologe in ihrer eigentümlichen Logik und entwickelt dabei eine „Sogwirkung“, die ihr vor vier Jahren von der Kulturbehörde mit dem Förderpreis für Literatur auch offiziell bescheinigt wurde. Merkwürdige Gestalten bevölkern ihre Erzählung und Kurzprosa: die verängstigte Alleinerziehende Doris, der kontrollbesessene Wolfgang, Sachbearbeiter im Sozialamt, ein vernachlässigtes und mißhandeltes kleines Mädchen namens Jenny, ein psychisch Kranker, der sich „Tutti“ nennt, von der Braut verlassen, von der Umwelt verkannt.

Ihr Interesse, sich gerade in problembeladene Existenzen hineinzuversetzen, steht für Anke Gebert in Zusammenhang mit ihrem eigenen Leben. Wahrscheinlich weil sie so eine sorgenfreie Kindheit und Jugend gehabt habe. Von traumatischen Erlebnissen keine Spur, beteuert sie. Die Mehrzahl ihrer Figuren verdichtet die Autorin aus alltäglichen Eindrücken verschiedener Menschen. Bis auf Tutti, den es tatsächlich gibt und der hoffte, über die gleichnamige Kurzgeschichte berühmt zu werden.

Damals in Schwerin. Die Kurzgeschichte entstand 1987 und entspräche wohl dem, was zu DDR-Zeiten unter „mutiger“ Literatur verstanden wurde. Heute erscheine auch ihr selbst die Schilderung dieses Menschen, der keinen Rückhalt findet, eher unspektakulär. Damals habe die Kurzgeschichte schon als Abweichung gegolten.

Bis ein Jahr vor dem Mauerfall lebte und arbeitete Anke Gebert in Schwerin, absolvierte einen Fernstudiengang am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“, gehörte einem literarischen Zirkel an. Nein, ihrem Schreiben habe nichts im Wege gestanden, erklärt sie und blickt flüchtig zur Zimmerdecke. Warum sie dann von einem Geburtstagsbesuch bei ihrer Großmutter in Bayern nicht mehr zurückkehrte? Pause. „Ich dachte, das kann doch nicht alles gewesen sein. Ich hatte Lust, mit 28 noch einmal etwas Neues anzufangen.“

Hamburg hieß die Veränderung. Das Drehbuchschreiben entpuppte sich als geistiges Neuland. Ohne genau zu wissen, wie ein Drehbuch geschrieben werden muß, gewann sie bei einem Drehbuchwettbewerb des NDR zum Thema „Die Wende“. Man schrieb das Jahr, in dem die neuen Bundesländer den alten beitraten. Als Wolfgang Menges „Motzki“, ein ständig gegen die Ossis nörgelnder Westproll, 1993 zur geliebten Haßfigur der Fernsehnation aufstieg, fühlte sich Anke Gebert unmittelbar angesprochen. „Das war mein Thema“, beschreibt sie ihren Impuls, Drehbuchautor Menge zu schreiben. An der zweiten Staffel „Motzki“-Bücher hat sie mitgearbeitet in der Hoffnung, ihre Verbesserungsvorschläge anbringen zu können. Bislang wurde die Fortsetzung aus verschiedenen Gründen nicht für das Fernsehen verfilmt. Alles in allem sei es eine lehrreiche Zeit gewesen, beurteilt sie im Rückblick. Der Unterschied zwischen Drehbuch und Erzählung wurde ihr deutlich. Im Drehbuch seien die Figuren nicht frei: unzählige Menschen besitzen ein Mitspracherecht, bestimmen die Charaktere, legen fest, was zu schreiben ist. Alles in allem eine Desillusionierung. Trotzdem schreibt Anke Gebert weiter Drehbücher, denn vor einem Jahr hat sie einen Aufbaustudiengang dazu an der Hamburger Filmhochschule in den Zeisehallen aufgenommen.

Filmisches Sehen kennzeichnet auch ihre Erzählung Hunde, die bellen: dicht, detailliebend, mit abrupten schnellen Schnitten. Aus dem „verkappten Krimi“ wird sie selbst kein Drehbuch schreiben. Schon zu lange her. Inzwischen schreibt sie an einem Dorfkrimi, Drehbuch und Erzählung parallel. Und dann: das Buch zur Wende. Verraten will sie aber noch nichts. Anke Gebert lacht. Es sei für sie an der Zeit, darüber zu schreiben. Inzwischen könne sie das auch, ohne Ärger. Schließlich sei für sie die Wende lange genug her, um darüber zu schreiben.

Ute Brandenburger