Den Faden in die Hand genommen

■ Nicht immer nur soziale Ungerechtigkeiten: Im 10. Jahr der Ariadne-Reihe ist der Frauenkrimi emanzipiert

Sie heißen Ryan, Marty Hopkins oder Micky Knight, und ihr Gütesiegel ist das Wollknäuel, verwoben in ein Labyrinth - die Protagonistinnen der Ariadne-Krimis sind starke Frauen, die das Rätsel zum Abenteuer machen. Die eigenwilligen Detektivinnen der internationalen Autorinnen haben einen anderen Blick auf die Welt als ihre männlichen Kollegen und werden vor allem als idealtypische weibliche Identifikationsfiguren rezipiert. Jetzt feiern sie Jubiläum: Seit zehn Jahren erscheinen im Hamburger Argument-Verlag zwölf Ariadne-Krimis pro Jahr. Else Laudan, 34, Programmleiterin des Argument-Verlags und Cheflektorin der Ariadne-Reihe, über die Eigenheiten des Genres Frauenkrimi.

taz: In Hamburgs einzigem Krimi-Buchladen stehen die Bücher fein säuberlich getrennt – alphabetisch geordnet nach weiblichen und männlichen Autoren. Bilden Krimis von Frauen ein eigenes Genre?

Else Laudan: Die traditionelle Krimischreibweise der Männer entwickelt den Plot aus dem Kriminalrätsel, gelegentlich auch noch aus den gesellschaftlichen Verhältnissen und Interessenkonflikten, er hat aber nie mit der Biographie der ermittelnden Person zu tun. Der Suspense wird also aus der externen Anordnung gezogen – das ist bei den Frauen anders. Die biographische Komponente macht da einen Teil des Spannungsbogens aus, die Handlung ist viel stärker auf die Persönlichkeit abgestellt.

Sehen Sie das als Bereicherung des Genres?

Die Zuordnung eines Frauenkrimis hängt nicht vom Wohlwollen der Autorin gegenüber dem Feminismus ab, sondern von der anderen Sichtweise, mit der Frauen auf die Gesellschaft gucken – das ist ein anderer Blick. Zugleich ist noch nicht auszumachen, ob das Krimi-Genre durch die Frauenkrimis „bloß“ bereichert wird, oder ob hier sogar ein eigenes Genre entsteht.

Wenn Frauen als erfolgreiche Ermittlerinnen, als Heldinnen gezeigt werden, zugleich noch ihren Alltag bewältigen und gute Geliebte sind – ist da nicht die Weiblichkeitsfalle von der perfekten Frau zugeschnappt?

Ganz im Gegenteil. Es war doch längst überfällig, daß die Literatur die Lebensverhältnisse des Publikums endlich ernst nimmt!

„Stein der Waisen“ und „Blut ist dicker als Mord“ – das sind die Jubiläumstitel zum zehnten Geburtstag der Ariadne-Reihe. Im Zentrum stehen die „Familienbande“, die Protagonistinnen sind auf der Suche nach ihrer Mutter und nach ihrer Familie, nach Zugehörigkeit. Ich finde diese Konstellationen sehr konventionell.

Ohne Frage steht derzeit das Themenfeld Familie in der Aufmerksamkeit – das hängt sicher damit zusammen, daß die Autorinnen die brennendsten Themen bearbeiten, auf die sie stoßen. Das bedeutet aber auch, daß sich der Frauenkrimi davon emanzipiert hat, immer nur soziale Ungerechtigkeit zu thematisieren.

Was hat den linken Argument-Verlag 1988 bewogen, die Ariadne-Reihe ins Leben zu rufen?

Da war sicher das Motiv, in die populäre Kultur einzusteigen und Bücher zu machen, die in dieses Feld verändernd eingreifen – sie zapfen die Selbstverständlichkeiten der Herrschaftskultur an und zeigen, daß Spannung auch anders möglich ist.

Wie reagieren die LeserInnen auf die Ariadne-Bücher?

Gerade bei Autorinnen wie Sarah Dreher oder Jean Redmann wecken deren Protagonistinnen ein enormes Identifikationspotential – da geht richtig Liebe rein. Das reicht weit über Anteilnahme hinaus. Insbesondere die Brüche in den Figuren, ihre Kämpfe haben einen hohen Wiedererkennungswert. Es gelingt diesen Frauen, den Kampf um die Handlungsfähigkeit zu gewinnen – das bedeutet einen Stärkestrom für die Leserschaft.

Nach welchen Kriterien nehmen Sie einen Krimi in die Reihe auf?

Vor allem müssen gute Identifikationsfiguren erzeugt werden. Unsere Romanhelden waren ja bis dato fast immer männlich, von Leder-strumpf bis Robin Hood oder Winnetou. Bei Ariadne wurde auf Anhieb goutiert, daß idealtypische weibliche Figuren angeboten werden.

Gibt es Unterschiede in der Publikumsresonanz, was die lesbischen und die straighten Autorinnen angeht?

Die Lesbenkrimis sind im allgemeinen beliebter, auch bei den straighten Frauen. Die lesbischen Heldinnen haben das gewisse Charisma. Vielleicht liegt diese Anziehung an der Spannungskraft attraktiver Gegenentwürfe: Es gibt in diesen Büchern die Anschauung, daß Lesbischsein als zusätzliche Option lebbar ist – ich könnte auch Frauen lieben ...

Was wird Ariadne in Zukunft bringen?

Wir sind inzwischen bei 110 Krimis und versuchen, solche Bücher aufzunehmen, die unsere Reihe um neue Elemente bereichern. Das Ideal wäre, so unterschiedliche Geschichten anzubieten wie es unterschiedliche Leserinnen gibt.

Ariadne ist jene Frau in der griechischen Mythologie, die Theseus den Faden gibt, mit dem er aus dem Labyrinth zurückfindet. Verbindet sich mit dem Namen Ihrer Krimi-Reihe auch der Anspruch, das Dickicht Welt zu entwirren?

Ariadne hat gezeigt, wie der Umgang mit dem Rätsel zum Abenteuer wird. Insofern ist der Alltag, ist das Leben durchaus als Labyrinth zu verstehen – als ein Geflecht aus Hürden und Problemen, bei denen man oft nicht weiterkommt. Der Bezug auf Ariadne zeigt, daß der Faden längst gesponnen ist – jetzt geht es darum, ihn selbst zu nehmen und ins Labyrinth vorzudringen.

Interview: Frauke Hamann