„Die Überschrift muß Dich richtig reinziehen in den Text“

■ Eine kurze Einführung in den Lokaljournalismus / 4. Lektion: Wie man sekundenschnell die Aufmerksamkeit des Lesers erregt

So langsam, liebe FernstudentInnen des Journalismus, geht es ans Eingemachte. Wir nähern uns den kleinen Details, konzentrieren uns auf jene feinen, häufig sträflich vernachläßigten Mechanismen, die man virtuos einzusetzen wissen muß, um ein rundum brillanter und erfolgreicher Journalist zu werden. Die Überschrift etwa: Alles kann man da falsch machen und nur wenig richtig. Denn die Zielgruppe ihrer investigativen Ergüsse – nein, nicht nur Ihre WG-Genossin: Gemeint ist DER LESER AN SICH – ist ein nur schwer zu bändigendes Geschöpf. Allenfalls wenige Sekunden kreist er des morgens mit den Augen über der Seite und blättert hemmunglos weiter, wenn ihn keine großartigen Überschriften entgegen seiner eigentlichen Absicht dazu zwingen, die Zeitung, die er erworben hat, auch tatsächlich zu lesen.

Illustrieren wir das im Folgenden zu behandelnde Problem anhand eines journalistInnenalltagsübli-chen Beispiels: Sie arbeiten tagelang an einem wirklich sensationellen, entlarvenden Artikel über die Schnarchnasen im Bremer Parlament. Sie decken auf, daß dort die meisten VolksvertreterInnen unsere Steuergelder sinnlos verprassen (aus dieser Erkenntnis machen Sie natürlich noch einen zweiten Artikel gemäß unseren Angaben in der ersten Lektion unserer Serie: ,Was bedeutet das für mein Portemonnaie?') und aus schierer Langeweile ständig graugrüne schleimige Popel unter die Sitzbank ihres politischen Gegners schmieren.

Sie schreiben den zweifellos wichtigen Text unter der Überschrift „Im Parlament ist mal wieder überhaupt nichts los“ und gesellen dazu die Unterzeile: „Unsere gewählten VolksvertreterInnen verwenden unsere Gelder nicht so, wie man es von guten VolksvertreterInnen eigentlich erwarten dürfte“. Sie müssen zugeben: Das liest kein Schwein! Nicht eines. Das zieht nicht einmal einen billigen Hering vom Teller. Geschweige denn, daß eben jener Hering, das zuvor erwähnte Schwein oder sonst jemand durch diese hundsmiserable Schlagzeile zur Lektüre animiert würde. Die Überschrift zieht einfach nicht.

Schreiben Sie also besser: „Skandal! Ekelerregende Popel verseuchen das Parlament!“. Und dichten Sie dazu die Unterzeile: „Skandal! Stammen diese schleimigen Absonderungen aus dem Weltall? Ein Informant berichtet: ,Die Dinger sind verseucht mit Killerviren'.“ Bemerken Sie den Unterschied? Diesmal zieht's! Und nicht mal von schlechten Eltern!

Ehe Sie sich versehen, kleben Sie mit der Iris auf dieser großartigen Schlagzeile, rutschen voller Ungeduld in den Text hinein, wischen sich zwischendurch kurz mal die Druckerschwärze von der Pupille und saugen sich den Text bis zum letzten Buchstaben hinter die Netzhaut. Die Gunst des Lesers, ja selbst der Leserin gehört Ihnen. Sie werden von Ihren begeisterten KollegInnen auf Schultern durch die Redaktionsräume getragen. Die Chefredakteurin bewilligt Ihnen Sonderurlaub, und am Ende des Jahres gewinnen Sie noch alle marktüblichen JournalistInnenpreise. Und alles nur wegen der Überschrift. Sie sehen, es lohnt sich, auch im kleinen Detail Sorgfalt walten zu lassen. zott

In der nächsten Lektion schildern wir, warum man dem Olymp des Lokaljournalismus nur mit einem guten „Ho-ho-ho-Faktor“ näherkommt