■ Streit um das Kreuz in Auschwitz und der polnische Antisemitismus
: Geschichtslügen

Auschwitz liegt mitten in Polen. Dort lebte vor dem Krieg die größte Diaspora-Gemeinde Europas, über drei Millionen Juden. Sie kamen in das „Land Kanaan an der Weichsel“, weil sie im Westen Europas ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Sie kamen aus dem Zarenreich, wo Überfälle auf Juden das später in aller Welt gebräuchliche Wort „Pogrom“ entstehen ließen. Die polnischen Fürsten und Könige aber boten über Jahrhunderte Schutz. Daß die Mörder ihnen aus dem Westen nachsetzen würden und daß sich das „Land Kanaan“ in den größten Friedhof der Juden verwandeln würde, das hatte niemand geahnt.

Im Zweiten Weltkrieg ermordeten die Deutschen fast alle Juden Polens. Als 1946 der Mob in Kielce auf das Gerücht „Die Juden ermorden unsere Kinder“ 42 Überlebende des Holocaust tötete, entschuldigte der Primas Polens, Kardinal Hlond, den Haß der Katholiken: „Mehr als ein Jude verdankt den Polen und den polnischen Priestern sein Leben. Daß dieses gute Verhältnis nun kaputtgeht, haben die Juden selbst zu verantworten, da sie den Polen eine Staatsform aufzwingen wollen, die diese ablehnen.“ Juden waren für Hlond keine Polen.

Als die kommunistische Regierung das ehemalige KZ Auschwitz als „Museum“ wiedereröffnete, hatte sie jede Erinnerung an die polnischen Juden getilgt. In den Gaskammern waren nach offizieller Lesart über vier Millionen Polen und Menschen anderer Nationen umgekommen. Und die katholische Kirche schloß sich dieser geschichtsklitternden Sprachregelung an.

Der aktuelle Streit um das von christlichen Fundamentalisten errichtete Kreuz in Auschwitz ist nur auf der Folie dieser Geschichte zu verstehen. Im Kern geht es dabei um die Frage, wer legitimerweise Anspruch auf das historische Symbol Auschwitz erheben kann: Polen oder Juden?

Die polnische katholische Kirche und die kommunistische Regierung waren sich stets einig, daß das KZ Auschwitz ein Symbol des polnischen Martyriums war. Kaum überraschend, daß noch 1995 nur acht Prozent aller Polen wußten, daß in Auschwitz vor allem polnische Juden umgekommen waren. Die meisten waren überzeugt, daß die Nazis in Auschwitz vor allem polnische Katholiken ermordet hatten.

Das Kreuz ist nicht der erste Versuch, Auschwitz plakativ christlich zu vereinnahmen. Schon 1984 sammelten deutsche und belgische Katholiken für die „Festung Gottes“ in Auschwitz und priesen das Karmeliterkloster höchst erfolgreich als „Unterpfand der Bekehrung unserer verirrten Brüder“ an. Damals protestierten Juden in aller Welt gegen die „Christianisierung der Shoa“. Die polnischen Katholiken und militante Christen in Westeuropa mimten die Unschuldigen: „Was können die Juden gegen das Gebet von ein paar Nonnen haben?“ Daß diese ausgerechnet im ehemaligen Lagerhaus der SS für das Giftgas ZyklonB für Täter und Opfer beten wollten, fanden viele Polen auch nicht weiter schlimm.

Doch Juden wollen nicht, daß Christen für das Seelenheil von Juden beten. Schließlich beten sie auch nicht darum, daß die Christen endlich ihrem Irrglauben an den falschen Messias abschwören. Den Hierarchen in Polen ist freilich nicht an einer Versöhnung mit den Juden gelegen. Sie führen – als habe der Holocaust nie stattgefunden – ihren antisemitischen Kampf aus der Vorkriegszeit und den Jahrhunderten der „Judenmissionierung“ bis heute fort.

Ein Repräsentant dieses polnischen Antisemitismus war in den 30ern der Franziskanerpater Maximilian Kolbe. In katholischen Massenblättern, die er herausgab, konnte man lesen, daß Polen das „biologische Hauptreservoir“ des Weltjudentums sei, das „sich wie ein Krebsgeschwür in den Volkskörper“ fresse. Daher gebe es nur eine Lösung: „Die Juden müssen emigrieren.“ 1982 sprach der Papst Kolbe heilig. Dieser war als „Märtyrer“ in Auschwitz für einen anderen Katholiken in den Tod gegangen.

Die katholische Kirche Polens hat sich nie entschlossen vom Antisemitismus distanziert. Die Vermutung, daß der „Antisemitismus ohne Juden“, der in Polen seit 1945 mehr oder weniger herrscht, keinen Schaden anrichten könne, erweist sich als falsch: Er schadet der katholischen Kirche selbst. Gabriele Lesser