■ Vorschlag
: Zirkus um die Zauberflöte – Tabori inszeniert Mozart im Roncalli-Zelt

Der erste Applaus erklingt noch vor dem ersten Ton, und er gilt nicht traditionsgemäß dem Dirigenten. Regisseur George Tabori geht zu seiner Loge, und der Sympathieträger in dem Kulturbörsencoup mit dem Namen „Mozarts Zauberflöte im Zirkus“ wird vom Klatschen des Publikums getragen. Der sanfte Nestor der deutschen Bühnenregie kann sich der öffentlichen Gunst sicher sein. Seine Aura adelt selbst künstlerische Unglücksfälle wie zuletzt „Der nackte Michelangelo“ an der Schaubühne. Tabori ist dabei bei der Zauberflöte vom dirigierenden Musikimpressario Christoph Hagel, der schon Katharina Thalbach zum „Don Giovanni“ ins E-Werk lockte, und ob der Regisseur bei den Proben nun wirklich viel eingegriffen hat, bleibt zweitrangig. Sein Name ist der gute Geist für eine theatralische Spekulation, die noch andere Trumpfkarten einsetzt. Circus Roncalli, Gitte Haenning, André Eisermann und Mozart hinterm Tacheles: U- und E-Kultur sollen mal wieder zusammengeführt werden. Das geht bei Mozart natürlich kinderleicht, weil sich in seinem Werk diese Unterscheidung ohnehin aufhebt.

Mozarts und Schikaneders Maschinentheater wird zum Märchentheater im Zirkusrund. Zum Märchen ohne Abgründe, die Ahnung von Tod und Todesgefahr bleibt draußen vor. Die Regieanweisungen bei Schikaneder lauten unentwegt „Das Theater verwandelt sich“, bei Taboris Inszenierung bleibt das Manegenrund immer gleich. Sauber gefegt und bunt bevölkert: Kazuko Watanabe hat die Darsteller in Clowns- und Zirkus-Phantasiekostüme gesteckt, nur die Königin der Nacht mit ihrem Pfauenfedern-Kopfschmuck und ihren Rokoko-Reifrockdamen entspricht der historischen Zeit.

Sonst ist alles Zirkus-Kunstwelt mit Weißclown Prinz Tamino, mit Monostatos als peitschenknallend tänzelndem Mohr in schwarzen Glitzershorts (der untersetzte, kräftige und kahlköpfige F. Dion Davis spielt das mit hübscher Ironie). Der souveräne Dumme August, dem seine rote Nase auch mal als Schloß vor den Mund gerückt wird, ist André Eisermann als Papageno. Der einzige Schauspieler im Manegenrund kostet diesen Umstand souverän aus, spielt vor und mit dem Publikum. Auch wenn die Musik für ihn einen Ton tiefer gelegt wurde: ein Sänger ist er nicht geworden. Er quetscht sich durch seine Arien, und wenn es gar zu gefährlich wird, holt er das Publikum zur Hilfe. „Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich“; Papageno dirigiert, das Publikum singt, das Orchester marschiert im Kreis der Manege.

Mozarts Zauberflöte, ein Fest für alle und mit allen. Eisermann biedert sich nie beim Publikum an, er spielt seine Rolle mit Witz und Understatement. Sonst läßt Tabori die Sänger nicht spielen, sondern laufen: das heißt, sie stehen im Manegenrund herum oder sie gehen im Kreis. So viel ausgebreitete Sängerarme hat man lange nicht mehr gesehen. Nur singen lassen wollte Tabori die Künstler, verlautete von den Proben, so schön sei die Musik. Doch da waren ja noch die Zirkusleute und –tiere. Die werden eher sparsam eingesetzt, als poetische Zeichen. Die Schlange ist eine Akrobatin am Seil, Isis und Osiris werden angesungen, während zwei Emus durch die Manege laufen, und Papageno lockt wirklich weiße Tauben an. Ein Schimmel frißt einen Apfel, ein Kamel schaut uns vor der Pause stumm an. Die von Mozart vorgesehenen Tiere allerdings werden von maskentragenden Darstellern gegeben: Sie müssen ja mitspielen.

Schikaneders Märchenlibretto ist arg beschnitten, ist befreit von allen philosophischen Überwucherungen, von allem verwirrendem Rankenwerk. Was bleibt, ist ein nicht immer verständliches, aber sofort verstehbares Märchen. Von der Liebe und ihren Hindernissen. Richtig böse ist da keiner mehr: Die wunderbar singende und rollenerfahrene Barbara Fuchs zeigt das Böse ihrer Königin der Nacht wie ein beiläufiges Zitat und läßt das Messer schnell in die Menge fallen, Zirkusdirektor Sarastro wirkt von Anbeginn an wie der gütige Baß vom Dienst. Der Abend wird bei Tabori zu einem unschuldigen Abenteuer. Wenn da eine Artistin zur Arie „Empor“ an ihrem Haarschopf in den Zirkushimmel tanzt und schwebt, wenn ein formidables Artistenpaar sich am Trapez wie zauberisch schwerelos vereint, während sich die Liebenden in ihrer Arie aus irdischem Glück in himmlische Glückseligkeit hinaufjubeln, dann haben sich Musik und Zirkus endlich zu mehr als nur zu einer Metapher vereint.

Die Aufführung lebt aus der Musik, daran kann auch Gitte Haenning nichts ändern, die als Papagena leider nur ihren gequetschten, angejazzten Gitte-Sound einbringt. Es stört auch nicht, daß der Orchesterklang unterm Kuppelzelt verdumpft.

Fragen nach U- oder E-Musik, nach Kunst oder Kitsch stellt und beantwortet dieser Abend nicht. Er ist beschwingte Unterhaltung. Kein großes Ereignis, aber doch eine geglückte Spekulation. Ob auch finanziell, muß die Zukunft weisen: 30 Aufführungen mit jeweils 1.300 Plätzen wollen erst gefüllt sein, die halbe Million Zuwendung aus dem Hauptstadtkulturfonds und die zahlreichen Sponsoren allein bringen das Unternehmen nicht in die schwarzen Zahlen. Solch Spektakel soll es ruhig geben: als Beispiel für die Zukunft der Hauptstadtkultur taugt es aber wenig. Hartmut Krug

Bis 23.9., Zirkuszelt hinterm Tacheles, Di./Mi./Fr./Sa. 19, So. 18 Uhr, Ticket-Hotline: 0180-5237454