Zwang oder Freiwilligkeit?

Für Sozialhilfeempfänger bedeuten „Drei-Mark-Jobs“ Zwangsmaßnahmen: Wer nicht arbeitet, dem wird Sozialhilfe gekürzt. Andere finden das „besser als rumhängen“  ■ Von Julia Naumann

„Total erniedrigend“ findet Claudia Geso* den monatlichen Gang zum Wilmersdorfer Sozialamt. Nicht, weil sie seit acht Jahren Sozialhilfeempfängerin ist und sich dort ihre Sozialhilfe abholen muß. Sondern weil ihre Sachbearbeiterin sie seit einiger Zeit verpflichtet hat, „gemeinnützige und zusätzliche Arbeit“ (gzA) zu leisten. Also zum Beispiel Akten in Bezirksämtern sortieren, in Kindergärten aushelfen, Altenpflege leisten oder Schulhausmeister unterstützen und in öffentlichen Parkanlagen Unkraut zupfen. Dafür erhält Claudia Geso drei Mark die Stunde, die sie zusätzlich zu ihren 1.400 Mark Sozialhilfe bekommt.

Die gzA-Jobs sind auf 40 Stunden im Monat angelegt und können auf freiwilliger Basis auf bis zu 60 Stunden erhöht werden. Damit soll laut Gesetz ihre „Arbeitsfähigkeit“ überprüft und sie auf ein normales Erwerbstätigkeit vorbereitet werden.

In Sachen langfristige Jobs sind die Erfolge jedoch dürftig: Claudia Geso ist gelernte Arzthelferin und möchte endlich wieder in einer Arztpraxis arbeiten. Doch trotz „intensiver Arbeitsbemühungen“ findet sie keine Stelle. „Entweder bin ich zu alt oder nicht qualifiziert genug“, sagt sie. Im Sozialamt muß sie regelmäßig beweisen, daß sie sich sich um Arbeit bemüht hat: mit etwa zehn schriftlichen Bewerbungen und zwanzig Telefonaten – säuberlich auf einem Formblatt aufgelistet. Überprüft werden diese jedoch fast nie. Dafür haben die SachbearbeiterInnen, so sagen diese auf Anfrage selbst, kaum Zeit.

„Einmal konnte ich nur zehn Telefonate vorweisen, da wurde mir von der Sachbearbeiterin gleich gedroht, daß mir meine Sozialhilfe gekürzt wird“, sagt Geso ärgerlich. Und wurde dann prompt zur „Arbeitsüberprüfung“ zur gzA-Stelle geschickt, wo sie einen Einsatz leisten mußte.

Wie oft Claudia Geso Akten schieben muß, hängt also ganz von der Willkür der Sachbearbeiterin ab. „Ich habe keine andere Wahl, sonst wird mir mein Geld gekürzt“, sagt Claudia Geso nüchtern.

Als Zwang empfindet Sybille Althammer* die Drei-Mark-Jobs dagegen nicht. Sie meldet sich fast jeden Monat freiwillig in der gzA- Vermittlungsstelle im Wilmersdorfer Sozialamt. Der 25jährigen Frau machen „die Einsätze Spaß“. Althammer, die keine abgeschlossene Ausbildung hat, hat schon dabei schon alle Varianten durchprobiert: Akten archivieren, Essen für Alte ausgetragen, als Gärtnerin arbeiten. „Das ist auf jeden Fall besser als rumhängen“, glaubt sie. Und die 120 bis 180 Mark, die sie monatlich zu ihren 950 Mark Sozialhilfe dazuverdient, hat sie dringend nötig. Für sie ist die gemeinnützige Arbeit im Gegensatz zu Claudia Geso „keine Ausbeuterei“. „Schließlich bekomme ich die Sozialhilfe umsonst. Da sind drei Mark für die Stunde okay“, ist ihre Aufassung.

Doch Althammer, die eine Ausbildung als Masseurin wegen gesundheitlicher Probleme abbrechen mußte, zweifelt genauso wie Geso daran, daß gzA-Jobs ihr den Einstieg in ein regelmäßiges Berufsleben vereinfachen würden.

Gedacht sind die gemeinnützigen Jobs als Vorstufe zu einem weiteren Programm, der „Hilfe zur Arbeit“ (HzA), das derzeit mit 90 Millionen Mark und ab 1999 mit 110 Millionen von der Sozialverwaltung gefördert wird: SozialhilfeempfängerInnen schließen mit den jeweiligen Bezirksämtern einjährige sozialversicherungspflichtige Arbeitsverträge in ähnlichen Bereichen wie bei der gzA ab. Können sie danach nicht weiterbeschäftigt werden, sind sie wenigstens nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig, sondern bekommen erst einmal Geld vom Arbeitsamt.

Der 90-Millionen-Topf wird proportional zu den SozialhilfeempfängerInnen in den jeweiligen Bezirken verteilt. Wilmersdorf bekommt derzeit rund 1,5 Millionen Mark für 7.300 SozialhilfeempfängerInnen. 1997 konnte das Amt lediglich rund 45 HzA-Stellen bezahlen.

Viel zu wenige, sagt die bündnisgrüne Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer und sucht deshalb nach neuen Wegen, um SozialhilfeempfängerInnen Lohnarbeit zu vermitteln – mit der niederländischen Agentur Maatwerk (taz vom 7.8.1998). Die private Arbeitsagentur hat sich verpflichtet, innerhalb eines Jahres 240 HilfeempfängerInnen einen festen Job zu vermitteln.

*Name von der Redaktion geändert