Von Märkten und Ministerien

Mali gilt als Vorbild der friedlichen Demokratisierung in Westafrika. Aber seit sich die Politiker nur noch streiten, mobilisiert die Bevölkerung sich lieber selbst  ■ Aus Bamako Christine Nimaga

Bamako dampft. Tropische Regenfälle brechen auf die sonst so trockene Wüstenstadt nieder. Zwischen den donnernden Schauern steigt die Feuchtigkeit in heißen Schwaden aus den Lehmhäusern von Malis Hauptstadt. Der Niger, dessen Wasser die Stadt in zwei Hälften teilt, fängt an zu steigen. Die fleischigen Blätter der Wasserhyazinthen schaukeln auf dem schneller fließenden Strom. Am Ufer hocken ein Dutzend Fischverkäuferinnen, die sich vor Sonne und Regen unter ihren aus Holzstöcken und schwarzen Plastikplanen konstruierten Schirmen verkriechen.

Trotz Regenschauer und Saharahitze geht das Leben in der Hauptstadt weiter wie gewohnt. Zwischen den Bahngleisen und den unzähligen Einbahnstraßen schieben sich die eine Million Bewohner Bamakos an ihren Märkten und Ministerien vorbei. Märkte und Ministerien scheinen das Merkmal der frankophonen Hauptstädte Westafrikas zu sein. Die Märkte, mit ihren bunten Indigostoffen, Kochzutaten und Ersatzteilen, schillern bunt als Ausdruck des Überlebensdrangs einer vibrierenden, wenn auch unstrukturierten und auf niedrigem Niveau gehaltenen Wirtschaftskultur. Die Ministerien, an deren kolonialem Arkadenbau der Putz in großen Placken abbröckelt, geben den Eindruck, als hätte sich in Mali während acht Jahren Sozialismus und 23 Jahren Militärherrschaft, die nach 1960 der Unabhängigkeit von den Franzosen folgten, wenig geändert.

Der schläfrige Anschein trügt. Seit Mali sich im Jahre 1991 vom Diktator Moussa Traore befreite, hat hier eine demokratische Entwicklung begonnen, die besonders bei Malis Entwicklungspartnern wie der Weltbank und den Geberländern als Modell angesehen wird. Aus dem unterdrückerischen Einparteienstaat wurde eine Mehrparteiendemokratie; die „sozialistische“ Planwirtschaft wandelte sich in eine freie Marktwirtschaft, die Produktion von Rohstoffen wie Baumwolle, Reis, und Gold wurde gefördert, ohne daß die wirtschaftlichen Interessen der westlichen Mächte dadurch in Bedrohung gerieten; eine Bewegung von Bürgerinitiativen auf Dorfebene, die „associations villageoises“, sollte den Lebens- und Bildungsstandard auch in den ländlichen Gebieten verbessern. Eigentlich ein perfektes Modell.

Dennoch findet sich auf den Ti- telseiten der zahlreichen Tages- und Wochenzeitungen unausweichlich das Schlagwort „Krise“. „La crise politique“ ist zum Selbstgänger geworden – dazu gesellen sich wahlweise die Schulkrise, die Wahlkrise und eine nicht enden wollende Reihe von persönlichen Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern der politischen Elite Bamakos.

Der politische Grabenkampf wird zwischen Regierung und Op- position ausgetragen. Das Kollektiv der Oppositionsparteien, COPPO, weigert sich, die Institutionen der Republik anzuerkennen. Aus seiner Sicht existiert in Mali weder ein Parlament noch eine Regierung, noch ein Präsident Alpha Oumar Konare. COPPO hat die Parlamentswahlen des letz- ten Jahres boykottiert und verlangt seitdem die Auflösung des Parlaments und neue Wahlen. Nur unter diesen Bedingungen wären die Oppositionsparteien geneigt, über die Anerkennung Alpha Konares als Staatspräsident zu verhandeln.

Im Prinzip hätte die Regierung von „Alpha“, wie er im Volksmund genannt wird, wohl auch über Neuwahlen zur „Assemblée Nationale“ verhandelt. Denn nachdem der Oberste Gerichtshof bereits den ersten Anlauf zu diesen Wahlen vom April 1997 wegen falscher Wählerlisten als ungültig erklärt hatte, war eigentlich allen Beobachtern klar, daß dieses Problem vor dem zweiten Durchgang nicht vollständig beseitigt wurde. Auch wenn der Fehlerbereich sich durchaus in dem für westafrikanische Wahlen üblichen Rahmen bewegte, waren die Unregelmäßigkeiten für das COPPO doch Grund genug, alle demokratischen Institutionen Malis, die mit dieser Wahl zu tun hatten, abzulehnen. Auch Präsident Alpha Konare: Für das COPPO ist er jetzt nur noch „Monsieur Alpha Konare“ – eine stechende Beleidigung im frankophonen, streng formellen System Ma- lis.

Als die Opposition zum „zivilen Ungehorsam“ à la Gandhi aufrief, schaltete sich der US-amerikanische Expräsident Jimmy Carter als Vermittler ein. Aber weder er selbst noch die eilends eingeflogenen Experten aus dem Demokratiezentrum Carters in den USA konnten eine Einigung zwischen COPPO und Regierung erzielen. Dabei waren die Streitpunkte schnell abgeklärt: Beide Seiten einigten sich darauf, die unabhängige Wahlkommission zu revidieren, die Wählerlisten zu überprüfen, eine Untersuchungskommission für die umstrittenen Parlamentswahlen von 1997 zu bilden und den Zugang aller Parteien zu den öffentlich-rechtlichen Medien zu garantieren. Der Stein, der wieder alles ins Stolpern brachte, war die Anerkennung des Präsidenten: Konare ist zu Verhandlungen mit dem COPPO nur in seiner Funktion als Präsident bereit; das COPPO hingegen will über eine Anerkennung des Präsidenten erst dann reden, wenn seine Forderungen eingelöst sind. Es ist wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei.

Das Demokratiemodell Mali ist in eine Sackgasse geraten. Die andauernde Krise ist nicht nur für die Zeitungen zum zentralen Thema geworden, sondern auch für die politische Elite selbst. Einst als Freunde im gemeinsamen Kampf gegen den Diktator Moussa Traore vereint, ist der „classe politique“ nach dem Einzug der Demokratie ins Land die Puste ausgegangen. Es fehlt an praktischen Ideen, das heutige, sehr komplexe Mali auf seinen Weg in eine bessere Zukunft zu geleiten.

Dabei hat Mali relativ gute Voraussetzungen. Obwohl ein großer Teil vom Norden des Landes reine Saharawüste ist, fließt doch der Niger durch den größeren Teil des südlichen Grüngürtels, der bereits an die tropischen Wälder von Guinea grenzt. Vier Produktionsbereiche könnten der Wirtschaft Malis aus der typischen Schuldenkrise eines afrikanischen Staates helfen: Baumwolle, die Nummer eins des malischen Nationaleinkommens, gefolgt von Viehzucht, Gold und Reisanbau. Keine dieser Industrien ist mehr in vollständig staatlicher Hand. Bei der Baumwollindustrie sprechen die Malier sogar von einem „Staat im Staate“ und meinen damit die mächtige CMDT – Compagnie Malienne de Développement de Textiles. Die halbstaatliche Monopolfirma mit französischem Aktienanteil, die ganze Landstriche und Dörfer beherrscht, hat dieses Jahr eine Rekordernte von 500.000 Tonnen eingefahren. Ehrengast bei den Feierlichkeiten: Präsident Alpha Konare, der sich sicher gerne die Lorbeeren an den eigenen Hut gesteckt hätte.

Die Lorbeeren gehen aber an ein Unternehmen, dem es mit aggressiven Geschäftsmethoden und Unternehmergeist gelungen ist, in einem trockenen und von der Wüste bedrohten Land einigen Wohlstand in die ländlichen Regionen zu bringen. Die malischen Bauern haben diese Initiative aufgegriffen – und sie weitergetragen. Heute sind die ländlichen Gemeinden selbstbewußt, ihre Söhne und Töchter ausgebildet. Die Rufe nach Einstellung lokaler Fachkräfte und sogar nach dem Ankauf von CMDT-Aktien werden lauter. Privatisierung von der Basis aus? Dies wäre nun wirklich ein neues Modell, für das Mali berühmt werden könnte. Denn in der westafrikanischen Region kommt Privatisierung meist von oben (Weltbank und Internationaler Währungsfonds mit Hilfe der Regierungen) und wird einer Bevölkerung ohne Mitspracherecht förmlich aufgestülpt.

Die Goldproduktion zeigt, daß der Staat in manchen Bereichen die Initiative gänzlich aus der Hand gibt – in diesem Fall allerdings mehr aus Unvermögen als aus demokratischer Gesinnung. Im Jahre 1992 schloß die einzige malische Goldgesellschaft ihre Tore, nachdem sie jahrelang nur Defizite erwirtschaftet hatte. Das bedeutete einen Knacks im Nationalstolz, denn das traditionelle Mali war für seine Goldkarawanen bekannt, die die gesamte Saharawüste durchquerten, um ihre Schätze im arabischen Raum einzutauschen. Heute befindet sich der offizielle Goldabbau überwiegend in südafrikanischer Hand, während der malische Staat sich mit nur rund 20 Prozent an den verschiedenen Minen beteiligt. Auch im Goldabbau gibt es Raum für die Privatinitiative der Malier: Ein Fünftel der 300 Tonnen Goldreserven wird nach wie vor im traditionellen Stil geschürft. In einigen Landstrichen hat jedes Dorf eine Handvoll Goldminen, in denen mit Handpickel und Kalabasse gegraben und geschürft wird.

Trotz aller Initiative steckt Mali tief in der Schuldenkrise. Mehr als ein Viertel aller Exporteinnahmen wird aufgewendet, um Staatsschulden zu begleichen. Der einzelne Malier bekommt das deutlich zu spüren: das durchschnittliche Einkommen liegt bei 250 US-Dollar pro Jahr.

Die Leute erwarten eigentlich von ihren politischen Vertretern, daß sie sich um grundsätzliche Dinge kümmern: Wie kann man erreichen, daß alle genug zu essen haben? Wie kann man den Reisanbau ausweiten? Was soll die arbeitslose Jugend tun? Wie kann man sich gegen Malaria, Kinderlähmung und Tuberkulose schützen? Wer stoppt das Voranschreiten der Wüste? Die Antworten auf diese Fragen waren die großen Hoffnungen für die Demokratie gewesen, zur Zeit der Befreiung von der Diktatur vor sieben Jahren. Heute sieht eine fassungslose Bevölkerung zu, wie sich die ehemaligen Politiker der Diktatur mit den neugegründeten demokratischen Parteien im Oppositionskollektiv COPPO zusammentun.

Malis Demokratie ist ermüdet. Die erste Euphorie ist dahin. Die Leute haben genug von der ewigen politischen Krise, um die sich die politische Elite aus Bamako wie in einem Perpetuum mobile dreht. Daß der Präsident einen Amerika- ner einlud, um im eigenen Haus Ordnung zu schaffen, hat die stolzen Malier tief verletzt. Die Leute auf den Straßen von Bamako reden heute noch von den Zeiten, wo die Könige Malis ganz Westafrika beherrschten, als sei es gestern gewesen.

Die Leute haben sich längst entschieden: Es gibt Wichtigeres zu tun als sich um die Politik und die Politiker zu kümmern. Bei 41 Grad im Schatten sitzen sie schweißgetränkt auf den harten Sitzen in den grünen Minibussen, die sich durch die Stadt quälen, vorbei an Märkten und Ministerien. Die Leute denken an die ewigen Stromausfälle, an die steigenden Preise für Hirse und Mais. Denn gerade während der Regenzeit sind Grundnahrungsmittel knapp und teuer: Die letzte Ernte ist aufgebraucht, die neue Saat wächst noch. Auch für die Politik könnte das gelten: Die Diktatur ist abgeschafft, die Demokratie gepflanzt, aber bis die neue Saat die politischen Bedürfnisse der Malier befriedigen kann, werden noch einige Regenzeiten vergehen.