Mißtrauen und Spannungen schrecken die Mitglieder

■ Heute stellen die Bündnisgrünen in Bonn ihr 50.000stes Parteimitglied vor. An der Strukturschäche in Ostdeutschland verändert dieser Zuwachs an Mitgliedern aber nichts

Berlin (taz) – Zumindest diesen Erfolg werden die Grünen im Wahljahr für sich verbuchen können: das 50.000ste Mitglied. Heute präsentiert die Partei in Bonn den Neuzugag. Die Kampagne „Grüne werben Grüne“ war Ende vergangenen Jahres ausgerufen worden, um die zum Teil eklatante Personalnot an der Basis zu beheben. Über eins allerdings kann die Mitgliederkampagne nicht hinwegtäuschen. Nach wie vor leidet die Partei an einem ausgeprägten Ost- Problem. Während die Bündnisgrünen in allen westdeutschen Landtagen vertreten sind, verloren sie mit der Wahl in Sachsen- Anhalt ihre letzte parlamentarische Präsenz im Osten – ausgenommen Berlin. Und nur jedes 17. Parteimitglied kommt aus einem der neuen Bundesländern.

Zudem sorgt hier eine oft eigentümliche Mischung aus Bürgerrechtlern, Naturschützern und westdeutschen „Altmitgliedern“ für Mißtrauen und Spannungen. In der Folge verließen immer wieder gefrustete Mitglieder die Grünen oder wechselten zu einer anderen Partei. Prominentestes Beispiel ist die Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld, sie wechselte zur CDU. Matthias Platzek, der seine politische Karriere einst beim Bündnis 90 startete, tritt im September als SPD-Mitglied zur Potsdamer Oberbürgermeisterwahl an. Und in Sachsen-Anhalt denkt Parteichef Chef Hans-Jochen Tschiche laut über einen „neue Bewegung“ aus linkem SPD-Flügel, PDS-Reformern und Grünen nach. Solche Tendenzen schwächen den innerparteilichen Zusammenhalt.

„Wir sind in allen Kreistagen vertreten“, macht sich Hubertus Graß, Landesgeschäftsführer der sächsischen Bündnisgrünen Mut. Mit knapp 1.100 Parteigängern sind sie der mitgliedstärkste Ost- Landesverband. Im sächsischen Eilenburg und Hohenstein-Ernstal stellen die Grünen den Oberbürgermeister. Grüne Hochburgen sind Dresden mit 190 und Leipzig mit 240 Mitglieder. Trotzdem schaffte Werner Schulz, prominentester Ost-Grüner und Bundesgeschäftsführer bei der Oberbürgermeisterwahl in Leipzig gerade mal acht Prozent. Man hatte auf ein zweistelliges Ergebnis gehofft.

Anders als in Sachsen sind im kleinsten grünen Landesverband – in Mecklenburg-Vorpommern – die Flächenkreise mitgliedstärker. Der Müritzkreis liegt mit 70 Grünen an der Spitze. Allerdings mußten sich einige Kreise mit den benachbarten Städten zusammenschließen, um überhaupt eine Organisationsstruktur anbieten zu können. Knapp 500 Mitglieder haben die Grünen im größten neuen Bundesland – nur in der Hälfte der Kreistage sind sie mit Abgeordneten vertreten. Sie haben derzeit viel zu tun: Parallel zum Bundestag wird am 27. September in Mecklenburg-Vorpommern auch ein neuer Landtag gewählt. „Die Umfragen sehen uns derzeit bei vier Prozent“, sagt Landesgeschäftsführerin Ulrike Seemann-Katz. Damit stehen die Hoffnungen auf grüne Landtagspräsenz im Osten in naher Zukunft schlecht.

Ein große Problem der Grünen ist, daß sie im Osten als Westpartei wahrgenommen werden. Sie hätten keinen Zugang zum Osten, monierte der Ostberliner Bundestagsabgeordnete Gerd Poppe. Der Westen habe kein Interesse daran, hier „Personen aufzubauen“. Erklärungen, wie die von der Bürgerrechtlerin Marianne Birthler abgegebene: „Wir sind eine Westpartei, einfach weil wir in einem Westland leben“, zeigen, wie hilflos die Ost- Grünen sind.

Ein anderes Probleme ist, daß im Osten heute nur noch zwei Prozent der Wähler Ökologie als wichtigstes Problem ansehen. Zu groß sind die Veränderungen, die sich seit den 80er Jahren vollzogen, als dieses Thema eines der Hauptfelder in der Auseinandersetzung mit dem DDR-Regime war.

Demoskopen haben errechnet, daß fünf Prozent der Ost-Wählerstimmen ein Prozent im Bundesdurchschnitt ausmachen. Während sieben Prozent der Wähler im Westen zur grünen Partei stehen, sind es im Osten gerade mal drei. Zwar wollen laut Umfragen zwischen vier und fünf Prozent der Ostdeutschen ihr Kreuz bei „grün“ machen. Doch die Umfrageergebnisse lagen im Osten bislang meist deutlich über den Wahlergebnissen. Es verwundert nicht, daß das schlechteste Wahlergebnis der 90er Jahre aus dem Osten kommt: Im September 1994 erreichten die Bündnisgrünen in Brandenburg 2,89 Prozent. Nick Reimer