Clintons Quasi-Entmachtung

■ Der fanatische Ermitlungseifer Kenneth Starrs lähmt die Politik des ganzen Landes

Ursprünglich sollte Kenneth Starr wegen eines undurchsichtigen Immobiliendeals in Clintons Heimatstaat Arkansas ermitteln. Doch in den letzten sechs Monaten vernahm er mehr als 80 Zeugen, um zwei erwachsenen Menschen eine intime Beziehung nachzuweisen. Im Zuge seiner Ermittlungen zwang und zwingt er die Beteiligten zum Offenlegen ihrer sexuellen Verhältnisse. Er brachte Monica Lewinskys Kollegin Linda Tripp dazu, ihre Busenfreundin auszufragen und deren Geständnisse auf Band aufzuzeichnen. Er zwang unter Strafandrohung die Mutter Lewinskys dazu, auszusagen, was sie über den sexuellen Umgang ihrer Tochter weiß. Er lud Buchhändler vor, die darüber Auskunft geben sollten, welche Bücher sich Monica Lewinsky gekauft hat. Er erwirkte beim obersten Gericht die Aussagepflicht der Leibwache Clintons, die zu dessen Sicherheit auch die Kleidung und Unterwäsche der Clintons durchwühlen muß. Er forschte in Kleidungsstücken von Monica Lewinsky nach Samenflecken wie ehedem fromme Großmütter in der Bettwäsche von heranwachsenden Jungen nach Spuren der verbotenen Onanie. Auf der Strecke blieben dabei nicht nur die Stellung des Präsidenten und einige seiner bisher unangetasteten Rechte – wie das auf Vertraulichkeit seiner Beratung. Auf der Strecke blieb auch die Politik Clintons und des ganzen Landes – als ob es in den USA und auf der ganzen Welt keine dringlicheren Probleme mehr gäbe.

Ob die politische Lähmung und Quasi-Entmachtung des Präsidenten auf eine rechte Verschwörung zurückgeht, wie Hillary Clinton vermutet, läßt sich weder beweisen noch ganz von der Hand weisen. Der Skandal aber folgt den harten Spielregeln amerikanischer Wahlkampfe. Ob Vorwürfe berechtigt sind oder mit dem öffentlichen Wohl der Nation etwas zu tun haben, ist nebensächlich. Solange sie den politischen Gegner in Atem halten und von der Verfolgung seines Programms abhalten, erfüllen sie ihren Zweck.

Und wenn es keine Verschwörung ist, die den Präsidenten in solche Bedrängnis gebracht hat, dann sind es das politische System selbst respektive die politische Kultur des Landes. Es ist, als ob das Gemeinwesen der USA von einer Autoimmunkrankheit befallen sei – und möglicherweise von ihr zerstört wird. Peter Tautfest