Eine Coverstory für andere Vorgänge?

■ Die Verfehlungen des US-Präsidenten liegen womöglich völlig woanders als auf sexuellem Gebiet: Über dem Weißen Haus braut sich ein Parteispendenskandal zusammen

Daß das Weiße Haus eine Räuberhöhle sein kann, ist spätestens seit der Amtsführung Richard Nixons bekannt. Nixon schmiedete dort Einbruchspläne ins Watergate-Gebäude und vereinbarte die Auszahlung von Schmier- und Schweigegeldern. Unter Nixons Vorgänger John F. Kennedy nährten die Dreiecksbeziehung zwischen Kennedy, Marilyn Monroe und Mafiaboß Giancana den Verdacht, das Weiße Haus sei mit der Unterwelt verbandelt und am Tod Monroes schuldig, ein Vorwurf, der – obwohl auf ewig unbeweisbar – mehrere Filme und Bücher inspirierte.

Wer sich vorstellen kann, daß Marilyn Monroe auf Geheiß von Kennedys Mitarbeitern umgebracht wurde, könnte es für möglich halten, daß auch unter Clintons Regentschaft mit kompromittierender Mitwisserschaft nicht gerade zimperlich umgegangen wird. Lucianne Goldberg ist die Verlegerin, bei der Lewinskys Kollegin Linda Tripp eigentlich eine Skandalchronik des Weißen Hauses hatte veröffentlichen wollen. Nach Auskunft Goldbergs sollen sich die Ermittler bei der fünf Tage andauernde Vernehmung Linda Tripps nur zum geringsten Teil mit ihren heimlichen Aufzeichungen von Monica Lewinskys amourösen Plaudereien aufgehalten haben. Statt dessen sollen sie sich auf Tripps Kenntnis ganz anderer Vorgänge im Weißen Haus konzentriert haben. Tripps Anwälte wollen wissen, daß ihrer Mandantin damit gedroht wurde, sie würde „zerstört“ werden, wenn sie über Vorgänge im Weißen Haus nicht schweigen würde. Nichts davon ist aktenkundig, und weder Lucianne Goldberg noch Linda Tripps Anwälte sind zuverlässige Quellen. Aber außerhalb des Vorstellbaren ist es nicht, daß die Affäre um Monica Lewinsky nur die Coverstory für Vorgänge ist, bei denen es um ganz anderes geht. Durch Starrs Bericht wird sich von White Water bis Lewinsky wie ein roter Faden der Nachweis der Zeugeneinschüchterung ziehen.

Um das Weiße Haus braut sich derweil ein Skandal zusammen, dessen Anwürfe weit gravierender sind als der Sexskandal. Derzeit werden in zwei Ausschüssen des Kongresses Spenden aus China und Geldzuwendungen aus der Industrie an die Demokratische Partei und die Wahlkampagne Clintons untersucht. Nach Auskunft des FBI-Direktors Louis Freeh sind dabei gerade ein Prozent der Verdachtsmomente bekanntgeworden, denen das FBI nachgeht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das gleiche auf den Sexskandal zutrifft. Während die öffentliche Aufmerksamkeit seit Monaten auf Sex fixiert ist, ermittelt Starr möglicherweise in einer Sache, für die Clintons Eskapaden nur den Vorwand oder die Oberfläche liefern. Einige amerikanische Kommentatoren haben deshalb schon Bill Clinton mit Al Capone verglichen. Dem konnten weder Morde noch Schutzgelderpressungen gerichtsverwertbar nachgewiesen werden, hinter Gitter brachten ihn aber Steuerhinterziehungen. Clintons eigentliche Verfehlungen werden auf einem ganz anderen Feld liegen als dem, auf das sich bisher die öffentliche Aufmerksamkeit konzentriert hat. Peter Tautfest