Kommentar
: Der große Wurf

■ Gerhard Schröder reichen 100 Tage für den Aufbruch in eine neue Republik

Wer glaubt, der jüngste Wahlkampfcoup von Gerhard Schröder würde die verbleibenden sechs Wochen vor der Stimmabgabe endlich mit politischen Inhalten füllen, irrt sich. Zwar hat sich die SPD in ihrem 100-Tage-Startprogramm endlich zu so wichtigen Themen wie Steuern, Rente und Lohnfortzahlung geäußert, aber Zeitpunkt und Charakter der lange erwarteten programmatischen Aussagen zeigen: Nun geht das letzte an politischer Substanz verloren, das im Bundestagswahlkampf der SPD gesteckt haben mag.

Was Schröder und Oskar Lafontaine diese Woche präsentieren wollen, sind tatsächlich die zentralen Themen der sich wandelnden Industriegesellschaft. Ohne das Dickicht der Steuergesetzgebung zu lichten, ohne den Zusammenhang zwischen gebrochenen Erwerbsbiographien und sozialer Grundsicherung zu formulieren, kann niemand den Anspruch erheben, die Republik ins nächste Jahrzehnt zu führen. Aber die Medienprofis der SPD- Zentrale reduzieren Megathemen auf populistische Wahlkampfversprechen: Rentner sollen die Kürzung ihres Ruhegelds von 70 auf 64 Prozent nicht fürchten; als erstes werden Steuerentlastungen spendiert, und die Kohlschen Grausamkeiten bei Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz werden gleichfalls revidiert.

Wir hören die Botschaften an die lieben WählerInnen: Laßt uns die Minireförmchen des scheidenden Kanzlers korrigieren. Aber das sind Schaukämpfe, und es fehlt der Glaube, daß Schröder & Co noch nachlegen können. Es ist genau die Idee, die großen Fragen der Politik in ein 100-Tage-Startprogramm zu schreiben, die die Ankündigung als Werbegag entlarvt. Wer suggeriert, Steuerstaat und Arbeitsgesellschaft ließen sich hopplahopp reparieren, ist unseriös. Mehr wäre dazu nicht zu sagen, gäbe es nicht die Verwirrung über die politische Farbenlehre des 14. Deutschen Bundestags: Alle Welt brütet vor dieser Wahl darüber, welche Mehrheiten sich angesichts dreier Wackelkandidaten PDS, FDP und Bündnisgrüne sowie der großen Unbekannten „Neue/Alte Rechte“ ergeben könnten. Die Politik starrt aufs Wahlvolk, das Wahlvolk auf die Sprechblasen und beide zusammen auf die „jüngsten Umfrageergebnisse“. Es wäre an der Zeit, den Menschen in die Wahlkabine ein paar Argumente mitzugeben. Das laue Versprechen, Kohls gröbste Schnitzer zurückzunehmen, reicht dafür nicht. Christian Füller Bericht Seite 6