Nordirlands blutigster Tag

■ Beim Anschlag einer IRA-Splittergruppe, die den Friedensprozeß ablehnt, starben 28 Menschen. Wegen einer falschen Warnung schickte die Polizei die Passanten dorthin, wo 40 Minuten später die Bombe explodierte

Dublin (taz) – Es war der schlimmste Anschlag in der nordirischen Geschichte. Am Samstag nachmittag explodierte in Omagh, einer Marktstadt mit knapp 20.000 Einwohnern, eine 500 Pfund schwere Autobombe und tötete 28 Menschen, unter ihnen neun Kinder und ein spanischer Tourist. Von den 220 Verletzten schwebten zehn gestern noch in Lebensgefahr.

Die Täter, daran gibt es kaum Zweifel, gehören der „Real IRA“ (RIRA), der „wahren IRA“, an, die sich im November von der Irisch-Republikanischen Armee aus Protest gegen deren Waffenstillstand abgespalten hatte. Die RIRA hatte danach schon fünf Bombenanschläge verübt, bei denen jedoch niemand gestorben war. Sie soll rund 150 Mitglieder haben.

Am Samstag ging nachmittags um halb drei eine telefonische Warnung ein. Der Anrufer, der sich mit einem Codewort der RIRA identifiziert hatte, sprach von einer Bombe vor dem Gerichtsgebäude. Die Polizei evakuierte die Umgebung und schickte die Menschen in Richtung der Market Street, einer Einkaufsstraße. Dort aber explodierte 40 Minuten später die Bombe. Der Polizeichef der Provinz, Ronnie Flanagan, sprach von einer „völlig falschen Warnung“. Möglicherweise sind die Täter nicht bis zum Gericht durchgekommen, haben das Auto in der Market Street abgestellt und den Mann, der die Warnung durchgab, nicht davon informiert.

Omagh ist zu 70 Prozent katholisch, Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, stellte im Stadtrat oft die Mehrheit. Am Samstag feierten die Bewohner beider Konfessionen ein Straßenfest, Höhepunkt sollte am Nachmittag ein Festumzug sein. „Ich kann die Trauer kaum in Worte kleiden, die ich für die Opfer dieses widerlichen, bösartigen Akts der Barbarei empfinde“, sagte der britische Premierminister Tony Blair, der seinen Urlaub abgebrochen hat. Neben den Vorsitzenden aller britischen und irischen Parteien verurteilte auch Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams den Anschlag „ohne irgendeine Einschränkung“. So deutlich hatte sich noch nie ein führendes Sinn-Féin-Mitglied von einem Anschlag distanziert.

Wieweit die Bombe den Friedensprozeß gefährdet, ist noch nicht abzusehen. Die irische Regierung hat angedeutet, daß der Anschlag keine negativen Auswirkungen auf die vorzeitige Entlassung der Gefangenen haben werde – wenn ihre Organisationen den Waffenstillstand einhalten. Gestern abend beriet die Spitze der loyalistischen Organisationen ihre Reaktion. Eine der beteiligten Organisationen, die Ulster Democratic Party, riet von einer Aufhebung des Waffenstillstands ab.

Die Polizei meint, ein 49jähriger Geschäftsmann aus der südirischen Grenzstadt Dundalk sei für den Anschlag verantwortlich. Er war bis November Quartiermeister der IRA. Aufgrund seiner Opposition gegen den Waffenstillstand wurde er bei einem geheimen Treffen der IRA- Führung aus dem Armeerat entfernt. Daraufhin gründete er die „Real IRA“. Ralf Sotscheck

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