Nur die Hände schlafen gut

Eine Nacht in sogenannten Ruhesesseln eines „City-Night-Line“-Zuges hinterließ eine vollkommen geräderte  ■ Annette Garbrecht

Seine Form erinnert an die Überschlagsessel auf der Kirmes, in denen man um und um gewirbelt wird, zu wilden Angstlustschreien animiert. Seine Funktion ist das genaue Gegenteil: Der Ruhesessel des neuen „City-Night-Line“-Zuges lädt zu einer erholsamen Nachtfahrt ein: „Reisen statt fliegen“, bewirbt ihn die Deutsche Bahn.

Hamburg Hauptbahnhof, 21.07 Uhr: Fast geräuschlos schiebt sich der nachtblaue „Comet“ in die Halle. Ungeduldig zerrt das Kind an der Hand, freudig erregt wegen der Fahrt im „Schlafzug“. Im Abteil merkt es als erstes: Der Knopf unter der Lehne schiebt das Sitzmöbel „zum Dösen und Lesen“ gerade soweit nach hinten, daß der Bauch nicht eingeklemmt ist. Des Kindes Beine baumeln ins Leere, die der Mutter ragen in den Gang.

23.11 Uhr: Das Kind wälzt sich schlaflos, die Mutter tut sich Rotwein rein. Ihr Kopf rutscht ständig zur Seite. Aus einem Hauch von Decke, vom Steward zugeworfen, bastelt sie sich ein kleines Dach, um das Neonlicht abzuschirmen. Die Schulter wird angestoßen von Menschen, die sich mit Zahnbürste und Kontaktlinsenflüssigkeit an ihr vorbeischieben.

23.30 Uhr: Eingeschlafen sind bisher nur die Hände, weil das Blut in den Armen durch die harten Seitenlehnen gestaut wird. Der Sitz des Vordermannes knallt auf die Knie. Immerhin ist das Licht aus.

2.04 Uhr: Visionen vom guten alten Liegewagen für 26 Mark. Doch in diesem Zug gibt es nur Qual oder Komfort: preiswerte Ruhesessel oder weißes Linnen für 68 Mark aufwärts. 5.15 Uhr: Die Neonröhren gehen wieder an. Schnell wieder zurück unter die Schlafmaske, auch wenn sie hier ihren Namen nicht verdient.

6.15 Uhr: Ein Rütteln am Arm: “Kaffee.“ Nein, jetzt noch nicht!

7.00 Uhr: Die Zwangsbeschallung macht der Nacht endgültig ihr Ende. Der Steward fordert die Decke wieder ein. Jetzt einen Kaffee! „Tut uns leid“, so die Reaktion, „wir haben Ihnen zweimal einen angeboten.“

8.15 Uhr: Zürich Hbf: Aschfahl steigen Mutter und Kind aus. „Reisen statt ruhen“ wäre der passendere Slogan gewesen.