Von Aufbruch und Zynismus

■ Morgen beginnt das 15. Internationale Sommertheater. Festivalleiter DieterJaenicke über den diesjährigen Schwerpunkt Israel

taz hamburg: Gab es mehr Gründe für einen Schwerpunkt Israel, als daß sich im 50. Jahr der Staatsgründung leicht Geld dafür organisieren ließ?

Dieter Jaenicke: Ja, und zwar zwei wichtige: Zum einen hat das Festival seit langem eine intensive Beziehung zu Künstlern aus Israel. Schon 1993 präsentierten wir Batsheva und Acco. Der andere Grund war - da ist inzwischen die Geschäftsgrundlage weg –, daß, als wir das Festival planten, kurz vor der Ermordung Itzak Rabins, eine enorme Aufbruchstimmung im Land war.

Ist es wichtig, Künstler als die andere Stimme zur israelischen Politik zu präsentieren?

Wenn man sich das Bild Israels in den Medien anguckt, denkt man ja, daß der Staat alles tut, um sich möglichst unbeliebt zu machen. Die Künstler setzen sich ganz anders mit ihrem Land auseinander und präsentieren sich anders im Ausland. Das war auch für uns interessant: Als wir anfingen, das Festival zu planen, sagten alle unsere Partner in Israel: ,Um Gottes Willen, macht kein reines Israel-Festival. Wir wollen in einem internationalen Rahmen präsentiert werden. Wir sind sowieso andauernd auf furchtbare Weise unter uns.' Doch es ist erstaunlich, wie wenig israelische von palästinensischen Künstlern wissen: Kaum jemand konnte uns Empfehlungen geben.

Ist die Aufbruchstimmung in Frustration umgeschlagen?

Da muß man ein Datum setzen: Daß die Batsheva Company wegen unkeuscher Kostüme von der offiziellen 50-Jahr-Gala ausgeschlossen wurde, hat bei allen Menschen, die ich im Performing-Arts-Bereich kenne, eine tiefe Verstörung ausgelöst. Niemand hätte gedacht, daß die Orthodoxen so eine Macht ausüben. Die Reaktionen darauf sind natürlich verschieden: Die einen kehren sich nach innen, andere werden zynisch und die dritten versuchen, sich mehr nach außen zu orientieren, bloß mehr im Ausland zu spielen.

Wobei sich an jenem Abend niemand mit Batsheva solidarisiert hat; alle anderen Künstler sind aufgetreten.

Das zeigt auch, wie wenig der Kibbuzgedanke in der Realität greift: Jeder versucht, sein Ding zu machen. Untereinander haben die Künstler wenig Kontakt. Die wenigsten sehen sich zum Beispiel die Premieren der anderen an.

Unerträglich ist die Zensur, nicht die Politik Netanjahus?

Auch die Künstler, die ich kenne – eigentlich alle bis auf Acco – haben ein sehr loyales, völlig ungebrochenes Verhältnis zum Staat. Niemand würde die Existenz des Staates Israel in Frage stellen. Aber viele haben einen zweiten Wohnsitz im Ausland, und könnten, wenn es enger wird, gehen. Im übrigen ist die finanzielle Unterstützung, die Künstler in Israel erhalten, bescheiden. Ohad Naharin, der sozusagen Chef des Staatstanztheaters ist, kriegt weniger als bei uns manche Freie Gruppe.

Was ist Thema in den Produktionen des Jubiläumsjahrs?

Man kann das nicht auf einen Nenner bringen. Das russische Theater in Israel bearbeitet nach wie vor den Holocaust und die Folgen. Für osteuropäische Juden, die erst vor acht Jahren nach Israel gekommen sind, ist die Situation aber natürlich eine ganz andere als für die Künstler, die in Israel geboren wurden. Bei ganz jungen Theaterleuten gibt es einen starken Zynismus, der über Wortwitz läuft, und leider für uns nicht zu verstehen ist.

Gibt es ästhetische Besonderheiten, Neuerungen?

Die Diversität der israelischen Juden, die aus allen Ecken der Welt kommen, sieht man natürlich in der kulturellen Produktion. Da ist keine formale Richtung vorherrschend.

Warum haben Sie keine explizit politischen Stücke eingeladen, etwa Interrogations von Ben Nir Gal und Liat Dror?

Die politischen Stücke, die ich gesehen habe, haben mich nicht überzeugt. Wenn jemand eine interessante politische Aussage hat, aber sie konventionell inszeniert, paßt er nicht in das Konzept dieses Festivals.

Und weshalb sind keine palästinensischen Gruppen eingeladen?

Anfangs war das das Konzept, Palästinenser und Israelis gemeinsam zu präsentieren. Dann hatte ich ein Schlüsselerlebnis mit dem palästinensischen Kulturminister: Er fand die Idee schon im Ansatz eine Beleidigung. Was ich auch verstehen kann: Man kann nicht verlangen, daß Palästinenser sich zu einer Veranstaltung anläßlich der israelischen Staatsgründung begeben, die bei ihnen „Katastrophe“ heißt.

Sie könnten es ja auch als Chance begreifen, ihre Version der Geschichte darzustellen.

Es gäbe sicher auch Gruppen, die gekommen wären. Letztendlich müssen wir aber hier nicht eine Normalisierung spielen, die es in Wirklichkeit nicht gibt.

Theater muß doch nicht Realität spiegeln, es schafft doch auch Realitäten. Wäre es nicht gerade Ihre Aufgabe, hier zu zeigen, daß Dinge möglich sind, die für unmöglich gehalten werden?

Die Situation ist komplizierter. Auch was die Folgen für die palästinensischen Künstler betrifft. Die wenigen, die überhaupt bereit gewesen wären zu kommen, hätten nicht unser Konzept verwirklicht, sondern wären zur Alibicompagnie geworden.

Interview: Christiane Kühl