Grüße aus Budapest
: Gewinnen Deutsche, gucken die Leute zu

■ Heute beginnt die Leichtathletik-EM, und es stellt sich die Frage: Was ist sie wert?

Hallo. Weiß eigentlich noch jeder, wer oder was die Leichtathletik ist? Nein? Also: Erstens ist sie ein schöner, zweitens ein wichtiger Sport. Wenn also heute in Budapest die EM beginnt, sind die taz-Leibesübungen vor Ort. Dennoch schadet es nichts, sich vor dem ersten Startschuß im Nep-Stadion die bescheidene Frage zu stellen: Was ist so eine EM wert in einer Branche, in der zwar der Markt in Europa ist, die besten Athleten aber aus Nordamerika und Afrika kommen?

Also: Die Einführung der Golden League durch IAAF- Präsident Primo Nebiolo in diesem Jahr hat die Branche verändert. Statt vier exponierter „Golden Four“-Meetings hat man nun eine Serie von sieben, für die die besten und publikumsträchtigsten Athleten unter Vertrag genommen wurden.

Das Ganze ist durchaus spannend, leidet allerdings darunter, daß das grundsätzliche Interesse am Produkt Leichtathletik nicht eben zunimmt, Nebiolo das aber beim Verkaufsversuch der Fernsehrechte negieren wollte. Weil er von der EBU, dem europäischen Verbund öffentlich-rechtlicher Sender, zuviel wollte, hat man der Sportart, sagt ZDF-Sportchef Wolf- Dieter Poschmann, eine „weitere Lektion“ erteilt. Die EBU verzichtete, die Rechte hat nun für kleines Geld für drei Jahre der Pay-TV-Sender Canal Plus. In Deutschland überträgt Premiere, weshalb nach den ersten drei Meetings auch der bisherige relative Zuschauermagnet „Weltklasse in Zürich“ letzte Woche von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend verpaßt wurde. Daraus ergibt sich nun aber für den Berliner Golden- League-Veranstalter Rudi Thiel die erstaunliche Situation, daß „die EM besser dastehen könnte als normal“. Weil man vorher nichts gesehen hat – und nun der Vergleich fehlt.

Den Streit um den Jackpot von einer Million Dollar dominieren die wirklichen Weltstars wie Marion Jones oder Haile Gebresilasie – denen allerdings das Ganze bereits zu kräfteraubend und ökonomisch zu unvorteilhaft ist. Europäer, sagt Thiel, „haben zum Niveau sicher am wenigsten beigetragen“. Es gibt dort nicht so viele.

Die Deutsche Grit Breuer ist über 400 m eine doppelte Ausnahme. Erstens hat die WM- Vierte einen Vertrag bekommen. Die Tschechin Fuchsova zum Beispiel, WM-Sechste, fand keine Anstellung. Zweitens schlug sie zuletzt in Zürich in bemerkenswerten 49,51 sec sogar die nigerianische Jackpot- Anwärterin Charity Opara. „Jedes Rennen“, fand Breuer heraus, „ist eine kleine WM.“ Was ist da ein europäischer Vergleich wert? „Meetings sind jede Woche zwei“, sagt Breuer, eine EM sei „höher einzuschätzen, weil man da einen Titel holen kann“.

ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann ist als Leichtathletik-Experte vor Ort. „Eine noch so gute Leichtathletik-Show kann eine Meisterschaft nicht ersetzen“, sagt er. Für Zürich, wo das ZDF einst nach 22 Uhr zu übertragen pflegte, hatte der Sender 3 Millionen Zuschauer als Maximum ermittelt. In Budapest, wo ZDF und ARD abwechselnd zur besten Sendezeit live übertragen, ist das Minimum. Allerdings sagt Poschmann auch: „Wenn ein Produkt sportlich nicht mehr erstklassig ist, gehen die Leute weg.“

Welche Klasse das Produkt hat, muß sich zeigen. Klar ist, daß nicht nur die Russen, sondern insbesondere auch die Briten mit zurückgegangenem Niveau zu kämpfen haben. Frankreich hadert derweil, weil mit Marie-José Perec ein richtiger Weltstar abgesagt hat, vermutlich weil ihr Trainingsaufbau im Gegensatz zu dem der Deutschen nicht von einer EM diktiert wird, sondern von US-Trainer John Smith und Interessen der Weltstar-Kollegen Greene und Boldon.

Die funktionieren auf dem Weltmarkt, dafür aber auf dem nationalen US-Markt nicht – weil der nicht existiert. Wenn aber heute 5.000-m-Olympiasieger Dieter Baumann um 20.05 Uhr über 10.000 m etwas reißt, sind die Sponsoren glücklich und das ZDF auch. Immer vorausgesetzt, die Leute schauen wirklich zu.

Werden sie schon, sagt Poschmann, selbst wenn der eine oder die andere heuer durch die Fußball-WM „etwas satt“ sei: „Immer wenn ein Deutscher die Chance hat, aufs Treppchen zu kommen“, ist seine Erfahrung, „gucken die Leute zu.“ Kann ja nicht viel schiefgehen: Der Deutsche Leichtathletik-Verband peilt 14 Medaillen an. Das müßte nach Adam Riese für ARD und ZDF reichen. Peter Unfried