: Der Verwirrung folgt die Klarheit
Nach mißratener Anfangsphase rafft sich Hertha BSC gegen Werder Bremen zu ansprechendem Fußball auf, gewinnt mit 1:0 und holt ungewöhnlich viele Punkte ■ Aus Berlin Matti Lieske
Die 37. Minute des Bundesligaspiels Hertha BSC gegen Werder Bremen: Der Berliner Andreas Thom bekommt eher zufällig den Ball, tritt plötzlich an wie schon lange nicht mehr, Bremens Marco Bode kann nicht folgen, Thom läuft in den Strafraum, schießt scharf, aber unplaziert aufs Tor, Keeper Rost kann mit Mühe abwehren. Für Wolfgang Sidka die Schlüsselszene der gesamten Partie. Bis dahin, so der Werder-Trainer, habe seine Mannschaft das Spiel kontrolliert, danach sei ihr der Schreck in die Glieder gefahren und Hertha habe „einen Kick“ bekommen.
Für Jürgen Röber stellte sich die Sache etwas anders dar. Nach den Darlegungen des Berliner Coaches war die Thom-Chance keineswegs der Auslöser für die Wandlung der Spielsituation, sondern ihre direkte Folge. Bis dahin hatte sich Thom in einem kuriosen Angreifer-Duell mit Marco Bode aufgerieben und teilweise sogar auf dem Verteidigerposten wiedergefunden. „Der wußte gar nicht, wo er hinlaufen soll“, sagte Röber später, und in seiner Verwirrung lief er eben Bode hinterher. Das hatte der Coach sich anders vorgestellt, doch er brauchte eine geschlagene halbe Stunde, um seinen Leuten klarzumachen, daß sie „in den Räumen stehen“ sollten. Sprich: Wenn Bode nach innen geht, folgt ihm nicht Thom, sondern Andreas Schmidt übernimmt.
Als diese taktische Maßnahme ihren Weg in die Köpfe gefunden hatte, begann Hertha, Fußball zu spielen. Plötzlich lief der Ball, wurden die Zweikämpfe gewonnen, gab es klare Direktkombinationen im Mittelfeld und schnelle Vorstöße über die Flügel. Nur die Flanken kamen nicht. Dafür bestätigte Dariusz Wosz all das, was Röber schon vorher über den Neuzugang gelobhudelt hatte: „Er kann ein, zwei Leute austanzen und die Abwehr durcheinanderbringen.“ Genau das tat Wosz in der 54. Minute. Zunächst unbehindert, durfte er das Mittelfeld durcheilen, dann stürmte die halbe Werder- Abwehr auf ihn zu, und sein raffinierter Paß fand den alleingelassenen Preetz, der den Ball mit kühler Überlegung ins Tor schoß, nachdem er vorher noch den durcheinandergebrachten Skripnik aussteigen ließ. „Die größere Kulisse peitscht mich an“, verriet der Ex- Bochumer, dessen große Leistung im Olympiastadion von 62.982 Menschen bestaunt wurde. Lediglich die Krönung seines Bundesliga-Debüts im Hertha-Trikot vermasselte er sich selbst, als er kurz vor Schluß den von Thom perfekt vorgelegten Ball an Torwart und Tor vorbeischob. „Ausgerechnet Wosz, der sonst eher einen Haken zuviel macht, macht einen zuwenig“, grämte sich Röber grinsend.
Mit dem fleißigen Wosz, dem anderen Neuzugang Tretschok, dessen Laufarbeit Röber „sensationell“ nannte, und einem Thom, der spritziger wirkt als letzte Saison, hat Hertha einige Schwachpunkte beseitigt, die in der Vergangenheit manchen Punkt kosteten. Geblieben ist die Unfähigkeit, Konter zu verwerten, aber auch hier winkt Besserung, wie die Schlußphase zeigte, als Werders Großoffensive den Berlinern Unmengen von Überzahlsituationen brachte. Früher endeten diese stets schon an der Mittellinie, jetzt schafft man es immerhin bis zum gegnerischen Strafraum.
Besonders erfreut war Röber darüber, daß es sein Team nach der anfänglichen Wirrnis geschafft hatte, die Kontrolle zu übernehmen. „Wenn du so ein Spiel noch in den Griff kriegst, dann ist das ein Riesenfortschritt“, freute sich der Coach, vermutlich in bitterer Erinnerung an die Heimniederlage gegen Werder in der letzten Saison, als genau das nicht gelang. Noch glücklicher war er darüber, daß es gleich zum Auftakt so viele Punkte hagelte, wie es sie vor einem Jahr nicht an sieben Spieltagen gegeben hatte. Der „einstellige Tabellenplatz“ (Röber) scheint keine Utopie; in deren Bereich liegt eher die Teilnahme am Uefa-Cup oder wie auch immer er dann heißen mag. „Wir sind noch keine Top-Mannschaft“, versucht Libero Kjetil Rekdal die rapide keimende Euphorie zu dämpfen, und Michael Preetz ergänzt vorsichtig, daß man sich „Schritt für Schritt“ entwickeln müsse, um das Ziel, „unter den ersten fünf mitzuspielen“, anpeilen zu können.
Werder Bremen hingegen muß sich nur noch in einem Spiel gegen Novi Sad durchsetzen, um schon dieses Jahr beim Uefa-Cup dabeizusein. Das wird – nach dem 1:0 im Heimspiel – nicht einfach. Noch schwieriger wird es für die Bremer, in der Bundesliga zu bestehen. Solide, aber ideenlos präsentierten sie sich in Berlin, und die von Sidka eingeräumten Überlegungen, kurzfristig jemanden zu holen, der die verletzten Spielgestalter Herzog und Maximow vertreten kann, harren ihrer hurtigen Umsetzung. Am besten noch vor dem Match in Novi Sad am 25. August.
Werder Bremen: Rost – Trares – Todt, Skripnik (60. Flo)- Roembiak, Wicky, Frey (71. Wiedener), Eilts, Bode – Kunz (66. Seidel), Frings
Zuschauer: 62.982; Tor: 1:0 Preetz (54.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen