Vereint sucht Irland die Bombenleger

Zwei Tage nach dem Bombenanschlag von Omagh sind zwar einige Verdächtige in Nordirland verhaftet worden. Die eigentlichen Täter aber sollen südlich der Grenze in der Republik Irland leben – ganz offen  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Nordirland hat in den vergangenen 30 Jahren viele verheerende Anschläge erlebt. Mal kamen dabei Jugendliche in einer Diskothek ums Leben, mal traf es alte Männer im Wirtshaus, ein anderes Mal starben Kinder in ihren Betten. Doch keine Attacke hat eine solche Fassungslosigkeit ausgelöst wie die Autobombe von Omagh, bei der am Samstag 28 Menschen starben und mehr als 200 verletzt wurden. Unter den Toten sind Katholiken und Protestanten, Nordiren und Südiren, Männer, Frauen und Kinder, Touristen und drei Generationen einer Familie: die 65jährige Mary Grimes, ihre schwangere Tochter und ihr 18 Monate altes Enkelkind.

Welches politische Ziel die Täter damit verfolgten, kann niemand begreifen – auch wenn der Massenmord nicht geplant, sondern vermutlich das Ergebnis eines katastrophalen Fehlers war. Der katholische Sozialdemokrat John Hume sprach von „knallharten Faschisten“, die den Willen der Bevölkerung ignorierten. Im Mai hatten die Menschen in beiden Teilen Irlands bei Volksentscheiden mit überwältigender Mehrheit dafür gestimmt, dem Friedensprozeß eine Chance zu geben.

Eine ganze Reihe von Mitgliedern der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) lehnte den Waffenstillstand ab, die Dissidenten formierten sich in der „Real IRA“ (RIRA). Daß diese Organisation hinter dem Anschlag von Omagh steckt, daran zweifelt niemand. Zum einen hatte der Anrufer, der die inkorrekte Bombenwarnung telefonisch durchgab, sich mit dem RIRA-Codewort gemeldet und die Verantwortung für die Bombe übernommen, zum anderen hat die Organisation in den vergangenen Monaten im vierzehntäglichen Rhythmus ähnliche Anschläge verübt, bei denen es allerdings keine Toten gab.

Die nordirische Polizei hat gestern in der Umgebung von Omagh fünf Männer verhaftet. Die eigentlichen Täter werden allerdings in der Republik Irland vermutet, das Auto, in dem die Bombe plaziert war, wurde eine Woche zuvor in Carrickmacross südlich der Grenze gestohlen. Der britische Premierminister Tony Blair sagte am Sonntag, seine Regierung könne wenig unternehmen, da die Hauptverdächtigen „außerhalb der britischen Gerichtsbarkeit“ lebten. Ein Regierungssprecher fügte hinzu: „So groß die Versuchung auch ist, wir können nicht einfach unsere Jungs hinschicken, um die Sache zu bereinigen, denn wir leben in einer Demokratie.“

Die nordirische Polizei hält den 49jährigen Michael McKevitt, der in der südirischen Grenzstadt Dundalk wohnt, für den Chef der RIRA. Bei einer telefonischen Nachfrage der taz verweigerte McKevitt vorgestern erwartungsgemäß jede Stellungnahme. Beweise liegen gegen ihn nicht vor, und deshalb blieb er bisher von der südirischen Polizei unbehelligt.

Das will man nun ändern. Der irische Premierminister Bertie Ahern sagte gestern, er habe „keine Zweifel, daß die Schuld bei Mitgliedern der Real IRA, des 32-County Sovereignty Committee oder wie sie sich auch nennen“ liege. Das 32-County Sovereignty Committee, das sich zur gleichen Zeit von der IRA-Partei Sinn Féin abgespalten hat wie die RIRA von der IRA, hat vorgestern den Anschlag jedoch scharf verurteilt. In der Erklärung hieß es außerdem: „Wir sind eine politische Bewegung, keine militärische Gruppe.“

Die Sicherheitskräfte beider Teile Irlands tagen seit Sonntag, um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Britische und irische Politiker wollten die Wiedereinführung von Internierungen ohne Anklage nicht ausschließen, ein Polizeisprecher warnte allerdings, daß man damit „Märtyrer schaffen“ würde. Wahrscheinlicher ist deshalb ein verstärkter Einsatz des britischen Geheimdiensts MI-5 in Nordirland, während man im Süden möglicherweise ein bereits bestehendes Gesetz zur Anwendung bringt, wonach jemand, der als Terrorist verdächtigt wird, aufgrund der Aussage eines Polizisten verurteilt werden kann. Das irische Parlament berät heute über weitere Maßnahmen.

Sinn Féin, die den Anschlag von Omagh in einer nie dagewesenen Deutlichkeit verurteilt hat, setzt auf die Bevölkerung. Den RIRA- Mitgliedern werde überall Ablehnung entgegenschlagen, sagte Martin McGuinness vom Parteivorstand. Der Aufforderung der Polizei, die Namen der Dissidenten bekanntzugeben, werden Sinn Féin und IRA aber nicht nachkommen: Verrat galt in beiden Organisationen immer als eins der schlimmsten Verbrechen, selbst bei einem Massaker wie in Omagh.