Lehrstellen für Multitalente

Seit dem 1. August gibt es elf neue Ausbildungsberufe – von der Mediengestalterin bis zum Mechatroniker. Auf die dafür geschaffenen Ausbildungsplätze drängen vor allem Abiturienten, schlechter qualifizierte Hauptschüler gehen leer aus. Und ein Lehrstellenbündnis zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ist nicht in Sicht.  ■ Aus Bonn Cornelia Fuchs

Das Auswahlverfahren ist gnadenlos. Wer eine der 18 Lehrstellen für den neuen Beruf des Mediengestalters beim Norddeutschen Rundfunk ergattern will, der oder die muß sich im Wettbewerb gegen 800 Mitbewerber durchsetzen. Zuerst werden 300 Bewerbungen mit guten Zeugnissen ausgesucht, dann wird weiter gesiebt, bis schließlich 60 Jugendliche vor Ort auf ihre Berufung geprüft werden. „Damit kriegen wir die starken Leute mit guter Allgemeinbildung und viel Wissen“, sagt Peter Bernreuther, Leiter der Ausbildung beim NDR. „Am Ende fragen wir nicht mehr nach Noten, sondern danach, ob der Beruf des Mediengestalters auch wirklich der ist, den die Bewerber ausüben wollen.“

Mediengestalter – das ist einer der elf neuen Ausbildungsberufe, die es offiziell erst seit gut zwei Wochen gibt. Seit dem ersten August bilden Firmen Lehrlinge nach den neuen Ausbildungsordnungen aus, die zuvor von Arbeitgebern und Gewerkschaften gemeinsam erarbeitet wurden. Hauptziel der neuen Lehre: Es sollen Multitalente angelernt werden, die neue Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt meistern können.

Mediengestalter sollen jede Kamera so sicher bedienen können wie das Tonmischpult. Veranstaltungstechniker sollen den Aufbau ganzer Messestände oder Opernbühnen organisieren – vom Bühnenbau bis zur Beschallung. Und darüber hinaus sollen die Lehrlinge natürlich mobil, flexibel und teamorientiert arbeiten. „Die älteren Kollegen müssen sich natürlich erst daran gewöhnen, daß dann solche Multitalente kommen“, gibt NDR-Mann Peter Bernreuther zu.

Die Multi-Ausbildungen sind oftmals keine völlig neuen Berufe, sondern sie ersetzen alte. Der Mediengestalter für Digital- und Printmedien beispielsweise ersetzt den Schriftsetzer und den Reprohersteller. Jochen Lippold, Leiter der Bildungspolitik im Bundesverband Druck, bezweifelt denn auch, ob die neuen Berufe tatsächlich neue Lehrstellen hervorbringen. Die Betriebe seien zwar von der neuen Ausbildungsordnung begeistert „wie schon lange nicht mehr“. Aber tatsächlich würden oftmals einfach die alten Ausbildungsstellen auf die neuen Berufen umgeschrieben. Nach den neuesten Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelstages sind in den elf neuen Ausbildungsberufen allerdings 2.160 zusätzliche Stellen eingerichtet worden.

Mit den neuen Ausbildungsordnungen sollen verstärkt Abiturienten direkt in die Betriebe geholt werden – Jugendliche also, die früher erst über den Umweg der Hochschule auf den Arbeitsmarkt zurückkamen. Denn was an der Hochschule gelernt wird, entspricht häufig nicht dem, was in den Betrieben gebraucht wird. „Die Abiturienten sollen lieber direkt in den Firmen lernen“, findet der Funktionär vom Bundesverband Druck, einem Zusammenschluß der Arbeitgeber im Druckgewerbe. Bei der Ausbildung zum Mediengestalter funktioniert das jetzt auch fast schon wie an der Universität: Nach Abhandlung des Grundwissens wählen die Lehrlinge zwischen vier Fachbereichen. Sie entscheiden selbst, ob sie beispielsweise lieber Multimedia-CDs gestalten oder die Datentechnik beherrschen wollen. Ähnlich sieht es beim Ausbildungsberuf Medienkaufmann/ frau aus. In der Berufsschule lernen die angehenden Programmplaner in Projektteams, wie der günstigste Werbejingle produziert wird – von der Recherche bis zum unterschriftsreifen Vertrag.

Hauptschüler haben von dem kleinen Aufschwung am Lehrstellenmarkt hingegen nichts zu erwarten, ganz zu schweigen von Jugendlichen ohne Schulabschluß. Obwohl sie in den Ausbildungsordnungen ausdrücklich einbezogen wurden, bleiben sie bei der Bewerbung um die neuen Lehrstellen so gut wie chancenlos.

„Wir sind froh, wenn wir ein oder zwei Realschüler unterkriegen“, sagt der Ausbildungsleiter des Norddeutschen Rundfunks, Peter Bernreuther. Hauptschüler werden als zuwenig qualifiziert angesehen, um die doch recht hohen Anforderungen in den Multi-Berufen zu erfüllen. Und auch auf dem traditionellen Lehrstellenmarkt können diese Jugendlichen nur noch selten einen ihrer Wunschberufe wählen. Im Juni 1998 kamen auf 9.600 Arzthelferstellen 34.500 Bewerbungen, beim Ausbildungsberuf Kfz-Mechaniker meldeten sich auf jede Stelle rein rechnerisch acht Interessierte. Dabei blieben Lehrstellen beispielsweise im Fleischerhandwerk unbesetzt: Hier wurden fast doppelt so viele Lehrlinge gesucht, als die Arbeitsämter Bewerber vorweisen konnten.

Dennoch suchen immer mehr Jugendliche vergeblich einen Ausbildungsplatz. Seit 1995 ist statistisch gesehen pro Bewerber weniger als eine unbesetzte Stelle zu verzeichnen – und diese Quote sinkt immer weiter. Wo keine Wahl mehr ist, müssen die Jugendlichen nehmen, was sie kriegen können. „Besser irgendeinen Job als gar keinen“, das gilt notgedrungen vor allem für Leistungsschwächere.

Jobst Hagedorn, Ausbildungsexperte bei der Bundervereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, plädiert deshalb für zweijährige Ausbildungszeiten, die jedem Jugendlichen nach seinen Möglichkeiten eine „abgespeckte Ausbildung“ ermöglichen könnten. Solche Arbeitskräfte suchen nach Erfahrung des BDA-Funktionärs gerade kleine Betriebe, die sich bis jetzt scheuen, die anspruchsvolleren Lehrstellen einzurichten.

Die gewerkschaftliche Gegenseite indes hält von solchen Plänen gar nichts: „Diese Schmalspurersatzberufe lehnen wir ab“, sagt der Bildungsexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Horst Kowalak. „Wir werden zu keinem Jugendlichen sagen, du bist zu doof, du wirst nur niedere Arbeit bekommen.“

Sollen Problemjugendliche durch mehr Hilfe oder nur durch „abgespeckte“ und dadurch schlechtbezahlte Berufe ins Arbeitsleben integriert werden? An diesem Grundsatzstreit scheitert im Moment ein Bündnis für Ausbildung, obwohl sowohl die Gewerkschaften als auch der Arbeitgeberverband es für dringend notwendig halten.

Den Jugendlichen hilft dies wenig. Wer nicht die Leistungen und die Kraft zeigt, sich zu den neuen Zukunftsberufen durchzuboxen, für denjenigen oder diejenige ist der Grundsatz der freien Berufswahl seit Jahren nur noch eine leere Worthülse.