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: EuroVisionen – Die kulturelle Elite trifft sich im Willy-Brandt-Haus

Bis vor kurzem reichten kleine Säle aus, wenn die „Aktion für mehr Demokratie“ zu Klassentreffen der kulturellen Elite einlud. Ins Leben gerufen hat sie der Plakatkünstler Klaus Staeck dereinst, um den möglichen Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine mit der nötigen intellektuellen Potenz auszustatten. Die Kandidaten wechselten, aber die Initiative blieb. Zum kleinen Jubiläum – das 10. Mal – dürfte das Willy-Brandt-Haus, das sich mehr und mehr als geistiges Zentrum der Republik entpuppt, bis auf den letzten Platz gefüllt sein. Das liegt zum einen an der illustren Teilnehmerliste, die die Intellektuellenoffensive um Klaus Staeck, Oskar Negt und Hans Misselwitz in Zeiten der bevorstehenden Regierungsabwahl versammelt hat. Über hundert einheimische Schriftsteller, Künstler, Denker und Deuter haben ihr Erscheinen zugesagt, verstärkt durch die französischen Nachbarn Jean-Michelle Jarre, Jeanne Moreau und Alain Robbe-Grillet und viele mehr aus nah und fern.

Es geht um Politik, es geht um Europa, es geht um alles. Und kommen tun die meisten neben dem üblichen Gedankenaustausch und dem anschließenden Sekt vor allem zur Bekenntnisbekundung: „Wir wollen ein Manifest erarbeiten und verabschieden, das als eigenständiger Beitrag im Rahmen des Bundestagswahlkampfes eine politische Perspektive für ein kulturelles und soziales Europa formuliert“, heißt es im Einladungsschreiben. Mehr Aufbruch war nie seit den Zeiten Willy Brandts, der zum Zeichen des Schulterschlusses von Geist und Macht im selben Jahr wie Heinrich Böll, 1972, den Nobelpreis erhalten hatte. Daß sich die Zeiten geändert haben, zeigt vielleicht die Tatsache, daß Gerhard Schröder, Ministerpräsident, Hannover, in der Teilnehmerliste ordentlich unter „sch“ wie Schule Aufstellung nimmt.

Natürlich ist dies Wahlkampf, und natürlich wird man nicht schlauer weggehen, als man hergekommen ist. Wer aber wissen will, welch kulturelles Kleid in der neuen Republik getragen wird, sollte den Intellektuellenauflauf nicht verpassen. Bei Überfüllung im Brandt-Haus bleibt immer noch der Laufsteg am Abend im Berliner Ensemble, wo das Ganze noch einmal als Gala gegeben wird. Harry Nutt

Heute, 15.30 Uhr im Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 141, 19.30 Uhr im Berliner Ensemble (nur mit Kartenvorbestellung)