Wildwuchs mit Fußangeln

Worin unterscheiden sich eine Tulpe und eine genmanipulierte Tomate? Eine Ausstellung im Bonner Kunstverein fragt nach Übergängen von Kunst und Natur  ■ Von Petra Löffler

Bei den Dreharbeiten zu „My Fair Lady“ stolperte Audrey Hepburn immer wieder über einen Zungenbrecher. Noch in der Synchronisation kommt der Schlagernonsens gut zur Geltung: „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen.“ Auch in Bonn scheut man den Stolperstein nicht. Nach „Über Leben“ (1993) und „Berechenbarkeit der Welt“ (1996) setzt der Kunstverein seine Ausstellungsreihe zu existentiellen Themen fort: Die Hymne des Spanientourismus macht Direktorin Annelie Pohlen zum Titel der Schau, in der die besungene Flora den Ton angibt. 20 junge KünstlerInnen nähern sich dem angesichts ständiger Erfolge der Gentechnologie wieder aktuellen Problemfeld auf spielerisch-ironische oder sentimental-melancholische Weise. Im Unterschied zu den Konzepten von Land Art oder Arte Povera, die vornehmlich die Ästhetisierung natürlicher Objekte und Materialien betrieben, kommt es der Bonner Schau auf den gleitenden Übergang von künstlicher Natur zu künstlerischem Naturbild an.

Greifbar wird das Spiel mit der unhaltbaren Grenze zwischen Natur und Kunst im Ausstellungsbeitrag von Olaf Nicolai. Seine großformatigen Farbfotografien von „Holzpaneelen“ und die „Greenbags“ betitelten Arrangements von portablem Plastikgrün im Rucksack imitieren Natur, wo keine ist. Nicolai überzeichnet das gewöhnliche Bild vom „Rohstoff“ Natur, das im heimischen Ambiente nicht selten in Gestalt von furnierten Wandverkleidungen und Kunstblumen hervortritt. Auch im Medium der Fotografie lassen sich unsere klischeebeladenen Naturvorstellungen präzise reproduzieren – und zwar so entlarvend ähnlich, daß Thomas Struths beiläufig aufgenommen wirkende Blumenfotografien bereits mit Gartenjournalen verwechselt werden. Die Thematik verfügt also über gehörige Fußangeln. Es ist kein Geheimnis, daß die Natur eine Erfindung des modernen Menschen ist, die Projektion eines idyllischen Jenseits der Zivilisation und melancholische Kehrseite fortschreitender Technisierung und Zerstörung der Umwelt. Das Denkmuster „Natur“ etabliert sich als artifizielles Paradies: Nicht umsonst haben sich Philosophen von Augustinus bis Adorno oft und gern als Hobbygärtner betätigt.

Folgerichtig ist das Kunstprodukt Garten eine zentrale Schaltstelle der Ausstellung. Diese Guckkastennatur zeigen Caroline Bittermann und Peter Duka in ihrer Installation „Die dritte Kammer – Rauschen“. Auf schwimmbadblauem Grund zaubern sie Sichtfenster mit Unterwasserlandschaften und der pittoresken Kunstwelt des Aquariums. Wie in einem gemalten Schaubild aus dem Biologielehrbuch werden diese künstlichen Räume mit der schönen, heilen Welt von Schrebergärten verbunden. Maßgeblich für deren Schönheitsideal ist das Cut-up einer Sichtweise, die Natürliches im künstlichen Rahmen revitalisiert. „Der pittoreske Blick“, so Bittermann/Duka, „ist das übergeordnete Prinzip. Unter ihm vermehrt sich Schönheit.“

Kritisch gewendet läßt sich diese Position auf die Ausstellung insgesamt anwenden. Daß das Pittoreske einem biedermeierlichen Kunstbegriff nahesteht, wissen Bittermann/Duka natürlich (und reflektieren das in den Sprechblasen der großen Wandtafel), aber von seinem einschränkenden Scheuklappenblick können sie sich nicht befreien. Der Hang zum Illustrativen, „malerischen“ Zugriff auf die Thematik ist denn auch das generelle Problem der Bonner Schau – unabhängig von den verwendeten Medien Zeichnung, Malerei, Fotografie und Video – und nur durch planmäßige Uneindeutigkeit zu lösen.

Kritisch werden die Arbeiten immer dann, wenn der Mensch als Beobachter oder Akteur in die Natur eingreift. Monströs erscheint die Zurichtung der Natur in Anne Lochs „Landschaftsbildern“: Ihre gemalten trostlosen Bergformationen, die sich auf schmutzigbraun lasierten Untergrund in kargen schwarzen Lineaturen abzeichnen, sind auf einer Wand verteilt. Daneben hängt die zum Souvenir verkommene alpine Flora in Gestalt übermäßig farbigen Enzians. Tote Landschaft und Postkartenmotiv gehören einer Kaleidoskopnatur an, der die Einheit auf immer verloren gegangen ist. Anne Schneiders Installation „Wandmalerei nach einer Skizze des Serienmörders Peter K.“ kombiniert wiederum einen Prospekt, der den Tatort im Wald verortet, mit auf dem Boden verteilten Baumscheiben: Mord im Wald, Waldsterben.

Eine andere Denkweise von Natur ist die ihres permanenten Werdens und Vergehens, wobei letzteres oft als unschön ignoriert wird. Inge Svala Thorsdottir und Wu Shan Zhuan verstehen den natürlichen Verwesungsprozeß in ihrer Installation „Vege-Pleasure“ als Erweiterung unseres Naturbildes. In Form von Zeichnungen, Farbfotos und Video dokumentieren die Künstler das Verfaulen verschiedener Gemüsesorten. Ihre Versuchsanordnung kehrt die gestalterischen Gepflogenheiten der Art Cuisine um: An die Stelle kulinarischer Arabesken tritt die Inszenierung von Schimmel und Fäulnis à la Cindy Sherman. Ein Plexiglaskasten mit Pflanzenresten sorgt für die Geruchsnote.

Die Grenzen zwischen Natur und Kunst sind durchlässig, die Manipulation dessen, was jeweils als natürlich angesehen wird, uferlos. Natur bleibt eine unbestimmte Größe im postmodernen Theoriepuzzle – ganz gleich, ob sie als künstliches Refugium oder Experimentierlabor angesehen wird. Dennoch macht Carsten Höllers „Suizidpflanze“ unmißverständlich klar, daß das freiwillige Aus im Wettkampf zwischen natürlichem Wachstum und genetischem Doping nur eine Frage der Zeit ist. Erreicht die im Experiment verwendete Sonnenblume eine bestimmte Größe, wird sie von einem Gewicht gekappt. Daß Höller ausgerechnet die Ikone der modernen Malerei stranguliert, ist gewiß kein Zufall: Züchtung und Züchtigung trennt eben nur weniges.

„Es grünt so grün...“ Bis 13. September im Bonner Kunstverein; Katalog 25 DM