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■ SommerSchuleViele Wege zum Abi

Berlin streitet um seine Grundschule. Sechs Jahre dauert in der Hauptstadt die primäre Lernphase. Das ist der CDU zu lang. Sie will, daß die Grundschule schon nach vier Jahren endet – damit die SchülerInnen aufs Gymnasium wechseln können. In der SommerSchule wurde bislang die vierjährige Grundschule als Sonderweg in Europa beschrieben (taz vom 22.7.98) – und auf der deutschen Tradition der frühen Auslese beharrt (taz vom 12.8.98). Jobst Werner plädiert heute dafür, die Grundschulklassen 5 und 6 zu stärken.

Die Berliner Schule besitzt, allem Streit zum Trotz, eine besondere Attraktivität: Sie eröffnet jedem Kind grundsätzlich, seinen individuellen Weg zu einem adäquaten Schulschluß zu finden. Beim Streit um die Länge der Grundschule geht es vornehmlich um den Bildungsgang zum Abitur. In Berlin ist das auf vielen Wegen möglich: über das Gymnasium, die Gesamtschule, aber auch die Real- und sogar die Hauptschule. Diese Berliner Vielfalt ruht auf dem Fundament einer prinzipiell sechsjährigen gemeinsamen Lernphase in der Grundschule.

Pädagogik vor Politik

Trotz der guten Erfahrungen mit den vielen Wegen zum Abitur plädiert ein Teil der Berliner Öffentlichkeit energisch dafür, die gemeinsame Grundschulzeit auf vier Jahre zu verkürzen; die Arbeit der Grundschule in den Klassen 5 und 6 wird nicht als ausreichend effektiv angesehen. Man vertraut nicht mehr darauf, daß die Schülerinnen und Schüler, die das Abitur wollen, in der Grundschule ausreichend gefördert werden.

Dies scheint mir das einzige pädagogische Argument zu sein, das im Grundschulstreit unabweisbar ist. Es ist in meinen Augen verständlich, die frühzeitige Förderung der Talente junger Menschen zu fordern. Dies kann auf zweierlei Art erfolgen:

– indem man deutlich mehr Gymnasien oder Gymnasialklassen einrichtet, die mit der Fünften beginnen;

– oder durch Verbesserung des Unterrichts in den Klassen 5 und 6 der Berliner Grundschule.

Eine erneute Diskussion um die Struktur des Schulwesens halte ich für wenig sinnvoll. Die bereits vor dem „Grundschulkompromiß“ von 1920 geführte und weit darüber hinaus anhaltende Diskussion um die Dauer der ersten Schuljahre hat gezeigt: Es geht stets um politische, nicht aber um pädagogische Fragen. Das Thema Schulzeit muß jedoch inhaltlich angegangen werden. Für Berlin heißt das: Die Grundschule muß in den Klassen 5 und 6 reformiert werden. Ich denke dabei insbesondere daran,

– den Unterricht einiger Fächer der Klassen 5 und 6 nach der Leistung zu differenzieren: In Deutsch und Mathematik sollte ab Klasse 5, in der 1. Fremdsprache ab Klasse 6 eine spezielle Förderung durchgeführt werden, um den unterschiedlichen Fähigkeiten junger Menschen gerecht zu werden;

– einen Versetzungsakt von Klasse 5 nach 6 sowie von Klasse 6 nach 7 auch wieder in Berlin einzuführen – und nicht am automatischen Aufrücken von Klasse 1 bis 7 festzuhalten.

Dennoch erscheint die Stärkung der Berliner Grundschulklassen 5 und 6 manchem als antiquiert. Es wird nach dem politischen Akt einer breiteren Öffnung der Gymnasien für Fünftkläßler gerufen. Wer das wünscht, der muß sich freilich mit einem anderen Thema auseinandersetzen: der Tatsache, daß für den Wechsel von Zehn- bis Elfjährigen auf die höhere Schule sehr oft allein der Elternwille ausschlaggebend ist – was nicht immer im Interesse der jungen Menschen liegt.

Immer wieder müssen wir schon heute erleben, wie Kinder, die von ihren Eltern in unverantwortlicher Weise ins Gymnasium gedrängt wurden, in dieser Schulform scheitern. Dies muß im Interesse der Kinder eingedämmt werden, zum Beispiel durch die Aufwertung des von den Lehrern erstellten Grundschulgutachtens. Auch sollte der Schulleiter der aufnehmenden Oberschule in einem Aufnahmegespräch noch Einfluß ausüben können, wenn der Elternwille von der Empfehlung der Grundschule abweicht.

Dieser Sicherungen bedürfte es, wenn auch in Berlin wieder die vierjährige Grundschule zum Regelfall würde. Besser aber wäre es, die Klassen 5 und 6 der Grundschule zu stärken. Jobst Werner

Der Autor ist Vorsitzender des Philologenverbandes Berlin/ Brandenburg. Beiträge zur SommerSchule an:

bildung@taz.de

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