„Hauptwettkampf“ mit Tücken

Speerwerferin Tanja Damaske geht als Weltjahresbeste in das heutige Finale der Leichtathletik-EM, hat aber Probleme mit der Qualifikation  ■ Aus Budapest Peter Unfried

Quizfrage: Was machen ihre Freunde, wenn sie zügig wissen wollen, wie Speerwerferin Tanja Damaske bei einem Meeting abgeschnitten hat? Da müssen sie die Athletin schon anrufen. Die Freunde haben nämlich keinen Decoder, und „selbst die Ergebnisse sind nicht immer im Videotext“ (Damaske). So ist das mit der Leichtathletik in diesem Jahr, in dem IAAF-Präsident Primo Nebiolo die Golden League, den Zusammenschluß der sechs größten Leichtathletik-Meetings, gestartet, sich aber beim Feilschen mit der öffentlich-rechtlichen European Broadcasting Union ein bißchen verrechnet hat. Die Fernsehrechte hat nun Canal+, in Deutschland Premiere, so daß die wenigsten mitgekriegt haben, auf welch hohem Niveau sich die zweifache Weltmeisterin Trine Hattestad, verheiratete Solberg (32), und die Weltjahresbeste Damaske auf den heutigen „Hauptwettkampf“ (Damaske) des Jahres zubewegt haben.

Es geht um den EM-Titel und die Medaillen. „Ein Meeting-Sieg ist auch schön“, sagt Damaske, „aber eine Medaille ist noch mal etwas anderes.“ Deshalb war sie gestern auch mächtig mißmutig, nachdem sie in der Mittagshitze von Budapest feststellen mußte, daß der Tartanuntergrund ihrer Technik nicht eben entgegenkommt.

Mit 60,63m verpaßte sie die Qualifikationsnorm (61m), steht aber als Gesamt-9. heute dennoch ebenso im Endkampf der besten Zwölf wie Konkurrentin Hattestad (lässige 62,55m) sowie die Medaillenkandidatinnen Mikaela Ingberg (64,49m) und Tatjana Shikolenko (62,01m).

Das mit der Medaille sagen in diesen Tagen ziemlich viele, die sonst in der Golden League ihre Nebenrolle spielen müssen. Damaske sieht den Vorteil der Golden League: Speerwurf, Frauen, ist die einzige der sonst eher geringgeschätzten Wurfdisziplinen, deren Athletinnen sich um den Millionen-Jackpot bewerben durften. Gewinnen kann zwar auch Hattestad den Jackpot nicht mehr, weil Damaske in Oslo siegte, aber „daß wir in der Golden League sind, ist schon gut“. Andererseits hat es neue Probleme gebracht: Die Anzahl der Wettkämpfe, bei denen frau eine Weltklasseleistung abverlangt wird, ist „enorm gestiegen“. Vorbei die Zeiten, wo man vor der EM noch eine unmittelbare Wettkampfvorbereitung einschieben konnte. Damaske und ihr Heimtrainer Lutz Kühl haben sich deshalb in der Saison drei Wochen zum Üben zurückgezogen. Die Werferin kam „aus dem Training heraus“ nach Monaco und mußte dafür, wie erwartet, mit Platz 5 ihr schlechtestes Saisonresultat in Kauf nehmen. „Das ist die Gefahr der Golden League“, sagt sie, „daß man irgendwann seine Form verliert.“ Sie hatte ihre Topform früh, als sie nicht nur Oslo und den Europacup gewann, sondern bei den verregneten nationalen Titelkämpfen als erste Frau seit drei Jahren den Speer über 70 Meter auf eine persönliche Bestleistung von 70,10m warf.

Drei Golden-League-Meetings in Folge hatte zuletzt Hattestad gewonnen (Rom, Monaco, Zürich), im Letzigrund warf sie zwar persönliche Jahresbestleistung (69,59m), lag aber nur noch einen knappen Meter vor Damaske (68,66m). Was zeigt, daß deren Versuch, das komplexe Jahr „trainingsmethodisch hinzubekommen“, erfolgreich zu sein scheint.

Damaske (26) ist, soweit man das sagen kann, eine unprätentiöse junge Frau, die gern und viel öfter lacht, als man das aus der Ferne vermuten würde. Sie hat die klassische DDR-Sportschulensichtung hinter sich. Warum sie Speerwerferin wurde? „Eine gute Frage.“ Weil man ihr Talent prognostiziert hatte und sie schnell merkte, daß die Prognose zutraf. Im Moment ist sie Psychologiestudentin an der Humboldt-Universität in Berlin, und das nicht nur pro forma, sondern „mit Prüfungen und allem“. Das ist ganz lapidar: „Wenn ich mal aufhöre, muß ich Geld verdienen, um weiterzuleben.“ Sie hat die Sporthilfe, ihren Klub OSC Berlin, einen Ausrüster (Asics) und durch die Golden League mehr Preisgeld – aber keine eigenen Sponsoren. Daraus folgt: „Ich bin Amateurin.“ Das sagt sie weder hadernd noch stolz. Es ist schlicht eine Feststellung. Klar wird in Budapest auch der Marktwert für 1999 mitdefiniert, aber Damaske sagt, sie sei hier, um eine Medaille zu gewinnen. „Ich hab' ja grad mal eine“ – im Vorjahr errungen bei der WM in Athen und aus Bronze.

Nun gibt es natürlich auch Steffi Nerius (26), zuletzt mit 67,33m 3. von Zürich. Die kam gestern mit dem Untergrund in Budapest hervorragend zurecht und warf mit 66,04m Bestweite. Die „größten Hoffnungen“ aber, meldet das DLV-Blatt, lasten auf Damaske in einer Disziplin, in der es fünf deutsche Medaillen bei den letzten drei Europameisterschaften gab, aber keine goldene seit Ruth Fuchs (1974 und 1978).

Es ist auch eine Disziplin, in der Petra Felke seit knapp zehn Jahren einen Weltrekord hält (80,00m), den frau nun dadurch los wird, daß ab kommendem Jahr mit einem neuen Speer geworfen wird, der kürzer fliegen wird. Gut, andererseits aber auch schade. „Wie er segelt“, sagt Damaske, „das ist eigentlich das Schöne.“

Wenn er segelt. „Man kann nicht jeden Tag 70 Meter werfen“, keuchte sie gestern, den Kopf gerötet von der Budapester Mittagshitze. „Ich will morgen weit werfen.“ Morgen ist heute, die ARD überträgt live (16.50 Uhr). Falls Tanja Damaske gewinnen sollte, dürfen ihre Freunde gern anrufen, müssen aber nicht; in dem Fall wird sie der stolze Rechteinhaber sehr wahrscheinlich sogar in der „Tagesschau“ lobend erwähnen.