Frau Schröter Von Michael Rudolf

Samstag. Wir haben eine Untermieterin. Frau Schröter. Sie ist sehr wortkarg. Strenggenommen kann sie gar nicht sprechen. Und ob sie wirklich weiblichen Geschlechts ist, da sind wir uns auch nicht so sicher. Frau Schröters Zimmer ist das Badezimmer, unser Badezimmer, genauer: unsere Badewanne, noch genauer: deren Abfluß. Dort hat sie ein feines Gespinst um ein Knäuel ausgefallener Haare und Hautschuppen gewebt. Das ist zwar schön anzusehen, untergräbt aber die angestammte Funktion eines Badewannenabflusses in geradezu erschreckender Art und Weise.

Sie werden es gemerkt haben: Frau Schröter ist eine Spinne. Keine Ahnung, was für eine Marke, aber mit so schönem Flaum an den Beinchen.

Montag. Wir wollen dann doch mal wieder baden. Also nehme ich unseren Gast auf eine zierliche Kehrschaufel und spediere ihn auf sanfteste Art in den Hof. Doch Frau Schröter wäre nicht Frau Schröter, wenn sie einfach aufgäbe. Schlag 24 Stunden später sitzt sie an ihrem angestammten Platz und vollendet gerade ihr neues Netzwerk. Die Wiederholung des Vorgangs zeitigt das gleiche Ergebnis. Klar, der Hof gefällt ihr nicht. Der Familienrat bespricht in einer kurzfristig anberaumten Sondersitzung aufgeregt die Modalitäten eines Teilfriedensabkommens.

Mittwoch. Erste Stufe der vertrauensbildenden Maßnahmen: Frau Schröter wird von mir vor dem Wassereinlassen vorsichtique auf dem Wannenrand plaziert. Dort wartet sie nun geduldig, bis sie wieder zurückkehren darf. Offensichtlich akzeptiert sie diesen Lösungsansatz.

Donnerstag. Nächster Fortschritt: Wenn wir zu baden/duschen wünschen, gehen wir vorher mehrmals geschäftig und lärmend im Bad ein und aus. Zum Drangewöhnen. Für Frau Schröter. Als Kletterhilfe lehnen wir die langstielige Rückenbürste in die Wanne, denn die glatten Emaillewände schafft sie es ja nicht allein hinauf. Sie verzieht sich dann an einen Ausweichplatz ihrer Wahl. Spannt auch ungeniert. Zumal bei mir.

Ist das nun artgerecht? Ohne Zweifel ja, sagt mein alter Freund, Holger Sudau, sonst praktizierender Insektenbeauftragter, und beglückwünscht uns.

Freitag. Frau Schröter bringt ihren Süßen mit. Im Klartext: Sie empfängt Herrenbesuch. Nach 22 Uhr, wie unschwer nachzuprüfen wäre. Huch, ein Turteln und Grabbeln den ganzen Tag.

Montag. In letzter Zeit scheint die Sache etwas aus dem Ruder zu laufen. Das Glück war nur von kurzer Dauer. Nanu, man geht sich aus dem Weg. Er – wir haben noch keinen Namen für ihn – in der einen Ecke in Schwammnähe, sie am Abfluß. Die Vermittlungsgespräche verlaufen ergebnislos, man bleibt auf Distanz. Zustände sind das. Was tun?

Mittwoch. Das Ungeheuerliche, ja Unfaßbare ist geschehen. Ihr Neuer hat sie kurzerhand abgemurkst. Eben saugt er sie genüßlich aus, der Perverse. Bald ist sie leer. Ihr schlaffer Rumpf erinnert ein bißchen an eingedellte Glühbirnen aus Plexiglas, wenn es so was gibt, oder an eine zerbeulte Bettpfanne.

Da stehen wir nun, macht-, glück- und tatenlos. Wir haben keine Tränen mehr. Arme Frau Schröter. Hoffentlich erwischen uns die Spitzel vom World Wide Fund for Nature nicht.