An jeder Ecke ein Joint

Junge und reiche Schnepfen belästigen nicht ganz so reiche Lehrer: John McNaughton gelingt es in „Wild Things“, die Schwarze Serie mit „Melrose Place“ zu versöhnen  ■ Von Thomas Winkler

Wie kriegt man Amerikaner ins Kino? – So zum Beispiel, könnte man meinen: Träufle etwas Sekt auf die Oberkörper zweier hübscher junger Frauen, und laß sie das gegenseitig aufschlürfen. Doch funktioniert hat das nur bedingt: Der Amerikaner hat daraufhin zwar gern über „Wild Things“ geredet, aber das Einspielergebnis war bestenfalls durchschnittlich.

Was schade war. Denn der Film wagt nicht nur, fast sämtlichen Protagonisten bisexuelle Neigungen zu unterstellen, und hält an jeder zweiten Ecke einen Joint bereit. Jenseits der Exploitation ist „Wild Things“ ein netter kleiner Thriller, auch wenn er an die verwirrende Klasse von „Die üblichen Verdächtigen“ oder „L.A. Confidential“ kaum heranreicht.

Ganz im klassischen Sinne des Genres hat John McNaughton für „Wild Things“ die sonst so übermächtigen Action-Einlagen fast vollständig getilgt. Statt dessen wird auf Sex, Geld und einen dicken Haufen Klischees gebaut. Der Plot hat mehr Wendungen als ein Dickdarm zur Abendbrotzeit, die Figuren wechseln ihre charakterlichen Eigenschaften wie die Unterwäsche. Niemand ist, was er zu sein scheint, die Intrigen werden hurtiger gebildet, als man „Kapiert!“ sagen kann, oder, wie es der Regisseur selbst ausdrückt: „In diesem Film lügen die Figuren sich in nahezu jeder Szene an.“

McNaughton wurde bekannt mit dem berüchtigten „Henry: Portrait of a Serial Killer“, hatte seitdem meist nur kleine Budgets zur Verfügung und verhinderte erfolgreich eine Einordnung seiner Filme in verkaufskompatible Schubladen. Die meisten schafften es nicht einmal nach Europa. In „Wild Things“ nun hat er, oberflächlich betrachtet, ein für ihn sehr ungewohntes Setting: Ein sauberes Städtchen in Florida, bevölkert mit grellen Prototypen. Ebenso junge wie reiche Schnepfen haben nichts Besseres zu tun, als nicht ganz so reiche Lehrer zu belästigen und schließlich ungerechtfertigterweise wegen Vergewaltigung zu verklagen. So scheint es zumindest...

McNaughton, der Fachmann für kleine, dreckige Filme, der Experte für gescheiterte Existenzen von den Rändern der Gesellschaft, hatte diesmal einen völlig anderen Anspruch: „Ich wollte diesen Film groß und glänzend. Die Figuren sollten oberflächlich wunderschön erscheinen im Gegensatz zu ihrem wahren Charakter.“ Und schön sind sie allesamt, auch der White Trash aus dem nahegelegenen Sumpf. Selbst die Krokodile, die hin und wieder aus der Brühe auftauchen, versprühen einen ledernen Charme. Aber die quotierten Nacktszenen lenken ab vom wahren Striptease, den die Charaktere ablegen. Schicht um Schicht an Niederträchtigkeit legt McNaughton mit jeder Wendung der Handlung frei, bis zum Schluß nur mehr das Böse bleibt. Oder: Eine Frau, ein Boot und der unendliche Horizont – Blau über Blau.

Natürlich sind das darstellerische Aufgaben für Matt Dillon, Kevin Bacon und Denise Richards, die in „Starship Troopers“ noch unbewegt Riesenkäfer in ihre Bestandteile zerlegte, ohne daß dabei ihre Frisur großartig verrutschte. Und da ist noch Neve Campbell. Die versucht seit den beiden „Scream“-Filmen vehement ihre Zwangsverpflichtung als Kreischkönigin in der Nachfolge von Jamie Lee Curtis zu verhindern. Dazu sucht sie sich Rollen wie die in „Wild Things“. Ihre Figur steht im Zentrum all dieser Verwirrung und verändert sich mit nahezu jedem Winkelzug, den das Drehbuch vorsieht, und davon gibt es ja nun nicht gerade wenige. Da der gesamte Film allerdings abhängt von diesem seinem komplexesten Charakter, dem Dreh- und Angelpunkt seiner Geschichte, hängt schlußendlich der ganze Film an der Leistung Campbells, liegt es an ihr, ob „Wild Things“ glaubhaft bleibt. Manchmal hat man das Gefühl, die 24jährige meistert souverän die wechselnden Facetten ihrer Rolle, manchmal aber scheint sie den wechselnden Lippenstift und die neuen Haarfarben zur Unterstützung bitter nötig zu haben.

So recht konnte sich McNaughton wohl nicht entscheiden, ob er nun einen Schauspielerfilm, eine huldvolle Referenz an die Zeiten von Bogart und Bacall, von Lake und Ladd machen wollte, oder sich lieber nicht allzu ernst nehmen und die Welt an Russ Meyer erinnern sollte. Kevin Bacon glaubte, als er das Drehbuch zum ersten Mal las, „das mülligste Ding“ aller Zeiten vor sich zu haben, und nicht einmal der Grimassenschneider Bill Murray fällt als Billigrechtsanwalt aus dem Rahmen. All das wird zudem auf einer zweiten Ebene verhandelt, auf der selbst oberschlaue Kinodekodierer und ihrem Chiffrenspielchen ins Schleudern kommen, und das obwohl das Drehbuch mehr Ungereimtheiten im Angebot hat als das Wahlprogramm von Gerhard Schröder. Aber wen kümmert das schon? Das ist Trash! Wenn „Wild Things“ der Versuch ist, die Schwarze Serie mit „Melrose Place“ zu versöhnen, dann ist er zweifellos gelungen.

„Wild Things“. Regie: John McNaughton. Mit Kevin Bacon, Nece Campbell, Matt Dillon, Denise Richards u.a. USA 1998, 113 Min.