Russische Aktienkurse befinden sich im freien Fall

■ Regierung erschreckt Anleger, indem sie die angekündigte Neuordnung ihrer Schulden verschiebt. Aktienhandel wurde ausgesetzt. Im Rest der Welt erholen sich derweil die Börsen

Moskau/Berlin (AFP/dpa/taz) – Die Kurse an der Moskauer Aktienbörse sind gestern binnen drei Stunden um mehr als elf Prozent gestürzt. Der Handel mußte zweimal unterbrochen werden. Ausgelöst wurde dieser erneute Crash von der Ankündigung der Regierung, die für gestern versprochenen Details über die geplante Restrukturierung ihrer Schulden erst nächste Woche zu verraten. Auch die für gestern angekündigte Bekanntgabe des Termins, an dem ein kleiner Teil des riesigen Energiekonzerns Gasprom privatisiert werden soll, wurde gestern verschoben.

Seit dem Höchststand im Oktober 1997 ist der russische Aktienindex RTS-Interfax um inzwischen 85 Prozent gefallen. Auch der Kurs der Währung rutschte auf 6,99 Rubel pro Dollar. Damit hat der Rubel seit Beginn der Woche, als die Regierung den Kurs zur Abwertung freigab, bereits zwölf Prozent verloren. In Wechselstuben muß der offiziell zugelassene Höchstkurs von 9,5 Rubel für den Dollar gezahlt werden. Die russische Zentralbank räumte unterdessen ein, das Gros der im Juli ausgezahlten 4,8 Milliarden Dollar aus dem IWF-Hilfspaket für die Stützung des Rubelkurses schon verbraucht zu haben.

Die Regierung hatte am Montag den Handel mit in Rubeln ausgestellten Staatsanleihen gestoppt. Diese Anleihen, die überwiegend von Russen gehalten werden und mit bis zu 300 Prozent verzinst sind, hatten den ohnehin gespannten Staatshaushalt überstrapaziert. Die relativ kurzfristigen Anleihen sollen vermutlich durch neue Wertpapiere mit vier- bis fünfjähriger Laufzeit ersetzt werden. Die Inlandsverschuldung der Regierung beträgt umgerechnet 72 Milliarden Mark. Der Schuldendienst verschlingt ein Drittel der Staatseinnahmen.

Vize-Ministerpräsident Boris Fjodorow erklärte die Verschiebung damit, daß sich die Umstrukturierung des Anleihenmarktes „schwierig“ gestalte. Es sei wichtig, „jetzt keine Fehler zu machen“. Der Manager eines Investmentfonds klagte: „Das Problem ist, daß wir nicht wissen, was wir für unsere Papiere bekommen.“

Das russische Kabinett setzte für heute ene Sitzung an, um über weitere Maßnahmen zu beraten. Morgen berät dann das oppositionelle Parlament die Schockmaßnahmen der Regierung. Das staatliche Statistikamt teilte mit, daß das Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr 1998 um 1,1 Prozent geschrumpft sei.

Im Gegensatz zur dramatischen Situation in Rußland haben sich in Asien gestern sowohl die Aktienbörsen als auch die Währungen deutlich erholt. Den Trend gab die Tokioter Börse vor, wo der Nikkei- Index um 2,2 Prozent zulegte. Den höchsten Zuwachs erzielte die malaysische Börse mit 8,8 Prozent. Auch der deutsche Dax legte zu, und in den USA kletterten die Aktienkurse am Dienstag trotz Präsident Clintons Fehltritt kraftvoll in die Höhe. lieb