Bedrohliches und Brachiales aus Israel

Hart, aber oft zu beliebig: Die Batsheva Dance Company eröffnet das Sommertheater  ■ Von Christiane Kühl

Wer sich seit fünf, zehn, 15 Jahren immer zur gleichen Zeit an den gleichen Orten bewegt, entwickelt unweigerlich ein gewisses Gefühl von Zuhause. Auch das Internationale Sommertheater Festival ist so ein Ort. Wer am Mittwoch abend zur Eröffnung pilgerte, bekam allerdings das Gefühl, sich in der Hausnummer geirrt zu haben.

Im 15. Jahr seines Bestehens wollte das Sommertheater, das einst europäische Avantgarde präsentierte, ganz groß werden. Renommierte KünstlerInnen von allen Kontinenten werden längst geladen; diesmal ging es darum, den eigenen Kreis in Hamburg zu erweitern. Statt wie bisher nur Kampnagel zu bespielen, werden auch die Kammerspiele und, so für die Eröffnung, die Staatsoper genutzt. Dort konnte man zwar für acht Mark eine Weinschorle kaufen, aber Diskussionen gab es nicht. Und die Begrüßungsreden waren gehalten: bei der offiziellen Eröffnung im Hause eines neuen Sponsors, dem – man höre und staune – Axel-Springer-Verlag.

Sabotage Baby heißt die Choreographie des Israelis Ohad Naharin, aber gemeint hat er es nicht so. Zu süßen Bossa-Nova-Klängen bewegen sich mit einer Art Hexenschuß-Minimalismus 18 TänzerInnen der Bat-sheva Dance Company über die Bühne, während das Publikum im erleuchteten Saal sitzt. Dann ein plötzlicher Ausbruch, ein Pas de deux zwischen Hysterie und der Eleganz muskulöser Raubtiere. Das Licht erlischt. Tänzer, Choreographen, Zuschauer, so Naharin, treffen sich an einem Ort: das kollektive Unterbewußtsein. In Sabotage Baby entführt Naharin eher in eine märchenhafte Unterwelt.

Lehmfarbene Kostüme sowie der Wechsel zwischen der Choreographie unterdrückter Energie und archaisch anmutender Stampfsequenzen vermitteln den Eindruck, einen unter der Erde lebenden Stamm beim Vollzug uns nicht erschließbarer Riten zu beobachten. Die holländischen Musiker Peter Zegveld und Thijs van der Poll inszenieren live mit erfundenen Geräuschmaschinen einen verwirrenden Krachteppich, der das Geschehen mal als bessere Welt, mal als bösen Traum erscheinen läßt. Zumindest im ersten Teil bleiben Naharins Bilder dabei sehr beliebig. Die Wesen aus dem Erdreich haben manche Fehde, krönen aber auch gerne eine Weinkönigin, und ab und an kommt ein Tiefflieger vorbei.

Nach der Pause integriert Naharin mehr Elemente: Ein deutsches Volkslied wird gesungen, japanisches Bunraku gezeigt, mehr Fabelwesen auf Stelzen bevölkern die Bühne. Das steht zwar der Beliebigkeit der ersten Hälfte nicht nach, doch entwickelt die Bildfolge hier Dynamik. Die Musikmaschine trötet und knarzt, die 18 TänzerInnen werden vom wilden Stamm zum Staat. Eine so faszinierende wie erschreckende Gleichförmigkeit verwandelt das Ensemble in eine Maschine an sich. Rotes Licht flutet über die Bühne, dann rollt ein kleiner Roboter auf die Bühne. Als Allegorie auf die Zivilisation muß man das nicht lesen, denn Naharin betont immer wieder, daß seine Stücke nichts bedeuten. So gibt es Applaus, und alle gehen nach Hause. Müssen sie auch, weil ein Festivalzelt als temporäre Ersatzheimat nicht zur Verfügung steht.