Ruckeln am Amtsportal

■ Im „Zeitbüro“ von Vegesack kämpft eine Geographin gegen starre Öffnungszeiten

Am Sedanplatz in Vegesack laufen die Uhren mal so und mal anders. Eigentlich ein bürgerfreundlicher Ort: ein Marktplatz nicht nur für den Handel mit Brot und mit Wein, sondern auch für das Gespräch, in das wir vertieft sind. Ein städtischer Raum nach altem Brauch, mit dem Grünmarkt und mit dem Finanzamt am Wegesrand – so nah, daß die Marktleute ihre Mehrwertsteuer da gleich abliefern könnten.

Ein integrer Raum – wenn nur die Göttin der Zeit hier nicht ihre kleinen Teufeleien ausgeheckt hätte. Markt und Amt nämlich, so dicht beieinander sind doch Öffnungszeit-Welten voneinander getrennt. Nicht einmal die verflixten Lohnsteuerformulare kann man und frau im Vegesacker Finanzamt mitgehen lassen, wenn sie sich an den Grünmarkttagen Dienstag, Donnerstag und Samstag auf den Heimweg macht. Vergebliches Ruckeln am Amtsportal – der Fiskus öffnet nur montags, mittwochs und freitags.

Martina Heitkötter, Vegesacks Zeit-Managerin, findet, das ist ein Unding. Seit nun fast einem Jahr beobachtet sie die Zeit-Räume des Städtchens Vegesack. Ein bißchen weniger Ärger für die Menschen in den knirschenden Zeitabläufen des Alltags soll dabei herauskommen. Dafür immerhin hat die Stadtteil-Gemeinde Vegesack sie ins Ortsamt geholt. Pardon: in ihr künftiges „Bürgeramt 2000“.

„Alles unter einem Dach“ ist die Devise und: „Wir lassen die Daten laufen, nicht die Bürger“ – aber bis das soweit ist, steht die Kundschaft im Ortsamt über der Weser perplex vor neugezogenen Wänden.

Und Martina Heitkötter läuft langsam die Zeit weg. Auf zwei Jahre ist ihre Stelle angelegt – dann muß sie bewiesen haben, daß ihre Vermittlungsarbeit zwischen den Zeiten Früchte trägt. Beobachtet wird sie dabei nicht nur vom Ortsamt Vegesack. Da sind auch noch die Uni Bremen und das Bremer Perspektivenlabor, die das einzigartige Pilotprojekt des stadtteilbezogenen „Zeitbüros“ als renomméeträchtiges Zukunftsprojekt für Deutschland anschieben wollen.

Außerdem spielt noch die Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik in Person Ulrich Mückenbergers eine Rolle: Hier wurde das Forschungsprojekt „Zeiten der Stadt“ mit EU-Geldern aus der Taufe gehoben.

Den Alltag erleichtern, nicht die Zeit optimieren, wolle sie, sagt Martina Heitkötter. Doch nicht an die Frauen und Männer im Örtchen Vegesack wandte sie sich in ihrem ersten „Zeitbüro“-Jahr: Es ist eher ein Marsch durch die Institutionen des Stadtteils, den die 31jährige Geographin hinter sich hat: Der Versuch, die Kommune als vielfach ineinander verschachtelte Gefüge von Zeit-Räumen zu begreifen, in denen sich nicht nur Finanzamt und Grünmarkt, sondern auch die Kindergärten, Schulen, Verkehrsbetriebe, Geschäfte im eigenen Saft schmoren. Martina Heitkötter soll hier vermitteln. Soll die Wände der Schließ- und Ladenschlußzeiten durchlässiger machen, damit in Bremen etwas entsteht, was zu Recht den Namen eines „öffentlichen Raumes“ trägt.

Eine Sysiphos-Arbeit, aber sie findet, der Stein, den sie da rollt, fand einen ersten Halt. Zum Beispiel bei „bremen.online“, wo nun alle Vegesacker Öffnungszeiten, von den Ämtern, wie den Geschäften zusammengetragen werden.

Und auch in der Komission, die die Fahrpläne von Nah- und Fernverkehr koordiniert, sitzt die ZeitGeographin Martina Heitkötter: Damit die VegesackerInnen im Pendelverkehr nach Hannover künftig nicht mehr auf dem Bremer Hauptbahnhof halbstündige Wartezeiten totschlagen muß. ritz