Kongos Kriegsparteien ohne Konzept

Der Kongo-Krieg spitzt sich zu, aber keine Bürgerkriegspartei hat eine klare politische Strategie. Kabila zieht sich in seine Heimatregion Katanga zurück, die Rebellen suchen noch nach innenpolitischen Verbündeten  ■ Von François Misser

Brüssel (taz) – Die kongolesischen Rebellen stehen kurz vor Kinshasa, wollen aber im Kampf gegen die Regierung Laurent Kabila ihre Position der Stärke nicht aufs Spiel setzen. Nachdem sie den Fall der Stadt Mbanza Ngungu bekanntgaben – der 120 Kilometer von Kinshasa entfernte Ort ist die letzte Bastion der Regierungsarmee vor Kongos Hauptstadt –, sprachen sie sich jetzt für Verhandlungen mit Kabila und eine „politische Lösung“ des Konflikts aus. Ein weiteres Zeichen der Entspannung war gestern die Wiederherstellung der Stromversorgung in der Hauptstadt Kinshasa nach drei Tagen Unterbrechung. Kinshasa bezieht seine Elektrizität vom Inga-Staudamm flußabwärts am Kongo-Fluß, der in Rebellenhänden ist.

Offenbar wollen die Rebellen der „Kongolesischen Demokratischen Sammlung“ (RCD) vor allem vermeiden, daß die von mehreren Staaten des südlichen Afrika versprochene militärische Unterstützung für Kabila tatsächlich geleistet wird. Bizima Karaha, außenpolitischer Sprecher der Rebellen, führte das Verhandlungsangebot an Kabila dementsprechend aus: „Die einzige Bedingung, die wir ihm stellen, ist, daß er ernsthaft ist, die Probleme des Kongo versteht und begreift, daß die Intervention ausländischer Armeen die Probleme des Kongo nicht lösen wird.“

Angolas Vizeaußenminister hatte sich am Mittwoch hinter den Interventionsvorstoß Simbabwes auf einem regionalen Gipfeltreffen am Vortag gestellt. Angola ist das einzige Land, das die auf Kinshasa vorrückenden Rebellen im Westen des Kongo militärisch bedrängen könnte.

Der Gipfelbeschluß droht den Krieg im Kongo unnötig zu verlängern, indem er dem demoralisierten Kabila-Regime neue Hoffnung gibt. Die gegenwärtige militärische Lage ist für Kabila ungünstig: Die Rebellen kontrollieren die Ölfelder im Westen des Kongo, aus denen die Regierung bisher die Hälfte ihrer Einnahmen gewann, sowie den wichtigsten Hafen Matadi und den Staudamm Inga, der Kinshasa sowie die südliche Bergbauprovinz Katanga mit Strom versorgt. Insgesamt beherrschen die Rebellen ein Drittel des Landes. Sie haben auch den unmittelbar bevorstehenden Fall der östlichen Metropole Kisangani angekündigt und befinden sich gegenwärtig im Vormarsch auf die Stadt Kalemie im Norden der Provinz Katanga, Kabilas Heimatregion.

Der Großteil der militärischen und politischen Führer der Regierung Kabila hält sich bereits immer öfter in Katangas Hauptstadt Lubumbashi auf statt in Kinshasa. Beobachter fürchten, daß Kabila sich bei einer Verschlechterung seiner Situation ganz nach Katanga zurückziehen und eine Abspaltung der Provinz vom Rest des Kongo betreiben könnte, wie sie bereits 1961–65 existierte. Aber Kabila darf sich über die diplomatischen Konsequenzen einer Sezession keine Illusionen machen. Ein Sprecher des Außenministeriums der ehemaligen Kolonialmacht Belgien sagte am Mittwoch bereits: „Belgien verurteilt eine Sezession Katangas.“

Katanga wird für die Rebellen bei ihrem Vormarsch dennoch das schwierigste Gebiet. Die Regierung hat bereits in Lubumbashi Waffen an die Bevölkerung verteilen lassen, und so werden die Rebellen bei einem Vorstoß nach Katanga gegen bewaffnete Milizen kämpfen müssen. Und die sogenannten „Katanga-Gendarmen“ – die lange in Angola lebenden katangischen Exilanten, die zum Teil innerhalb einer angolanischen Militäreinheit 1997 entscheidend zugunsten Kabilas im Krieg gegen Mobutu mitkämpften – sind gespalten: Der Auslandsvertreter ihrer politischen Organisation FLNC (Nationale Kongolesische Befreiungsfront), Ambroise Kalabela, verbreitet Aufrufe zur Unterstützung Kabilas und zum Widerstand gegen die „Invasoren“. Zugleich aber haben FLNC-Generalsekretär Henri Mukatshung und der katangische General Jean-Delphin Mulanda nach Kabilas Machtergreifung im Mai 1997 mehrere Monate lang im Gefängnis gesessen, und ein politischer Führer der ehemaligen Exilkatanger, Emile Ilunga, hat sich offen der Rebellion angeschlossen. Kabilas Innenminister Gaetan Kakudji, der aus derselben Ethnie wie Kabila stammt, ist in Katanga äußerst unpopulär.

Tatsächlich hat bisher keine der beiden Bürgerkriegsparteien im Kongo die enthusiastische Unterstützung der Bevölkerung erhalten. Die allgemeine Ansicht lautet, daß auf beiden Seiten eine unheilige Allianz von Kabilisten und Mobutisten herrscht. Weder die eine noch die andere gelten daher als glaubwürdige Erneuerer. Obwohl die Mehrheit der Kongolesen mit Kabila enttäuscht ist, sieht sie eine von der ruandischen Minderheit dominierte bewaffnete Opposition nicht als wünschenswerte Alternative an.

Für die RCD-Rebellen ergibt sich daraus die Einsicht, daß sie trotz ihrer gegenwärtigen militärischen Oberhand die Lage politisch nicht beherrschen. „Für die Rebellen ist es wichtiger, die Rebellion zu kongolisieren, als einen militärischen Erfolg zu erzielen“, urteilt der Sprecher des belgischen Außenministeriums. Welche Seite im Kongo die Oberhand behält, hängt daher letztendlich davon ab, für wen sich die unter Kabila verbotenen politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen entscheiden.

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