Sterberichtlinie darf eingesehen werden

■ Die Bundesärztekammer beugt sich dem öffentlichen Druck und gibt die Sterberichtlinie jetzt doch noch zur Ansicht frei. Künftig sollen die Gerichte über Leben und Tod von Patienten entscheiden, die

Frankfurt/Main (taz) – Der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) hat sich nun doch dazu entschlossen, den überarbeiteten und lange intern diskutierten Entwurf einer „Richtlinie zur ärztlichen Sterbebegleitung“ öffentlich zu machen. Wer das BÄK-Angebot annehmen und den Text unterstützen, kritisieren oder ablehnen will, muß sich allerdings beeilen: Der Vorstand plant, die Richtlinie bereits am 11. September endgültig zu beschließen und für die Ärzteschaft verbindlich zu machen.

Inhaltlich unterscheidet sich der jetzige Text kaum von jenem 1997 präsentierten Entwurf, der vielfältige Kritik geerntet hatte. Zwar sichert das BÄK-Papier nun allen Patienten in jeder Phase der Erkrankung zu, was selbstverständlich ist: daß sie „ein Recht auf Behandlung, Pflege und Zuwendung“ haben. Doch die bereits 1997 von der BÄK vorgeschlagene brisante Ausnahme steht auch im neuen Entwurf: Bei Menschen, die sich persönlich nicht äußern können, etwa Patienten im Wachkoma, soll die tödliche „Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen“ bei „mutmaßlicher Einwilligung“ erlaubt sein – eine Ermächtigung für Mediziner, die kein deutsches Gesetz erlaubt.

Herren über Leben und Tod würden gemäß BÄK-Richtlinie künftig Richter werden. Unterstellen Betreuer oder Bevollmächtigte, daß der ihnen anvertraute Patient den Abbruch der Behandlung mutmaßlich wünsche, muß ein Vormundschaftsgericht die Plausibilität dieser Einschätzung überprüfen und die beantragte Herbeiführung des Todes genehmigen. Gibt der Richter grünes Licht, müssen Ärzte des Betreuten die notwendigen lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen unterlassen. Als „lebenserhaltende Therapie“ stuft die BÄK auch die „künstliche Ernährung“ via Magensonde ein; wird sie nicht mehr angewandt, verhungert der Patient binnen weniger Wochen. Als „wesentliche Hilfe“ zur rechtlichen Absicherung des Behandlungsabbruchs sollen den Ärzten „Betreuungsverfügungen“ oder „Vorsorgevollmachten“ der Patienten dienen. Mit solchen Schriftstücken könnten Menschen zu einem beliebigen Zeitpunkt voraussagen und dokumentieren, daß sie im Falle eines Komas oder schwerer Erkrankung auf lebensnotwendige Therapien verzichten.

Die Zugriffsmöglichkeit auf derartige Erklärungen, die der BÄK-Vorstand nun als Ausweis von „Selbstbestimmung“ begrüßt, wird in Dänemark bereits per staatlicher Dienstleistung gefördert: Dort organisiert das Gesundheitsministerium ein zentrales Register mit Patientenverfügungen, das Mediziner konsultieren müssen, wenn ein Erkrankter, dessen Zustand aussichtlos zu sein scheint, seinen Willen nicht mitteilen kann. Ein solches „Sterbehilfe“-Management sieht die deutsche Richtlinie nicht vor, doch möchte die BÄK laut Pressesprecher Alexander Dückers „in absehbarer Zeit“ einen „Katalog“ mit „Kriterien für eine verbindliche Bekundung des Patientenwillens“ erarbeiten. Träte ihr Entwurf in Kraft, würden die BÄK-Repräsentanten den Weg für niederländische Verhältnisse bahnen. Zwar distanzieren sie sich von der im Nachbarland geduldeten „Euthanasie“, also von Patiententötungen per Giftspritze, -infusion oder -trank, die nach offiziellen Angaben jährlich über 4.000 Menschen ins Jenseits befördern. Aber eine im Auftrag der Regierung erstellte repräsentative Studie besagt auch, daß 1995 jeder fünfte Sterbefall in den Niederlanden durch „Einstellung oder Nichteinleitung einer lebenserhaltenden Behandlung“ verursacht worden sei. Rund 27.000 Menschen hätten auf diese Weise 1995 den Tod gefunden. Klaus-Peter Görlitzer

Das Papier gibt es bei der Kölner BÄK-Pressestelle: (0221) 400 43 90