Lieber schnell gezahlt

Die italienische „Generali“-Versicherung will 100 Millionen Dollar an Angehörige von Holocaust-Opfern zahlen  ■ Aus Rom Werner Raith

Noch ist alles nicht vom Aufsichtsrat abgesegnet, doch wie es scheint, ist Italiens Versicherungskonzern „Generali“ mit einer überraschenden Wende aus der Front jener 16 europäischen Konzerne ausgeschert, die sich noch immer weigern, den Hinterbliebenen von Holocaust-Opfern die fälligen Beträge aus Lebensversicherungen auszuzahlen, die die später in den KZs Getöteten bei ihnen abgeschlossen hatten. Vor dem New Yorcer Bezirksrichter Michael Muckasey haben sich die Anwälte der „Generali“ und die Vertreter der Hinterbliebenen auf die Zahlung von 100 Millionen Dollar geeinigt, 35 mehr als die ursprünglich von den Konzernmathematikern hochgerechneten 65 Millionen. Protest kommt allerdings aus Israel, wo nationalistische Politiker diesen Betrag als „allenfalls Peanuts“ bezeichnet haben: In Wirklichkeit müsse der Konzern über vier Milliarden Dollar zahlen, so der Abgeordnete Kleiner, Vorsitzender des parlamentarischen Finanzausschusses.

Dabei schien es so, als seien gerade die „Generali“ in einer – verglichen etwa mit deutschen oder Schweizer Versicherungen und Banken – eher guten juristischen Position: Sie stützten ihren anfänglichen Widerstand nicht nur auf die auch anderwärts vertretene Argumentation, Lebensversicherungen dürften vertragsgemäß nur bei „Vorliegen eines amtlichen Totenscheins“ ausgezahlt werden – der bei den meisten Holocaust-Opfern jedoch nicht beigebracht werden kann. Der Konzern, dessen Zentrale in Triest, an der Grenze zum ehemaligen Jugoslawien, residiert, führte vielmehr vor allem die Tatsache an, daß die meisten der bei ihm abgeschlossenen Policen in den östlichen Nachbarländern zustande gekommen waren – dort aber seien nach dem Krieg seitens der kommunistischen Regime alle Güter des Konzerns eingezogen und auch nie mehr zurückerstattet worden. Weshalb rein rechtlich diese Regierungen für die Entschädigung eventuell fälliger Policen aufzukommen hätten.

Daß der Konzern sich nun an die Spitze der Entschädiger setzt und die Aufstockung um gut 50 Prozent gegenüber dem ersten Angebot als „besonders großzügige Lösung“ verkauft, ist allerdings nicht unbedingt einer ganz unkapitalistischen Menschenfreundlichkeit oder Reue zuzuschreiben: abgesehen davon, daß nach der Einigung der Schweizer Großbanken mit den US-amerikanischen Sammelklägern sowieso kein Weg mehr an einer Entschädigung vorbeiführen wird, hat die Triestiner Kompagnie auch massive Interessen an einer internationalen „Imageverbesserung“, speziell was Israel angeht. Denn dort haben die „Generali“ 1996 die Aktienmehrheit an der größten israelischen Versicherungsgesellschaft Migdal erworben – waren danach jedoch vor allem durch politischen Druck praktisch völlig blockiert worden. Die nun gezeigte „Großzügigkeit“ in Sachen Entschädigung nimmt die italienische Versicherung aus der direkten Schußlinie und wird den Druck auf die anderen 15 europäischen Gesellschaften erhöhen, die – wie die „Allianz“, die „Victoria“ oder die „Winterthur“ – noch immer weit von einer Einigungsbereitschaft entfernt sind.

In Triest wurde die Nachricht von der Einigung allseits mit Befriedigung aufgenommen. Viele Beobachter schreiben die schnelle Bereitschaft des Konzerns nämlich auch internem Druck zu – seit Monaten wechseln in der istrischen Stadt zahlreiche Veranstaltungen und Ausstellungen zur jüdischen Geschichte einander ab. Eine noch vor kurzem undenkbare Renaissance jener Kultur, die die Stadt – wo bis heute die größte europäische Moschee steht – vor dem Krieg zu einer der Zentralen westlichen Judentums gemacht hatte.