Sofortprogramm der SPD nicht CDU-kompatibel

■ Nach einem Wahlsieg will die SPD politische Entscheidungen der Kohl-Regierung zurücknehmen und den Atomausstieg einleiten. Grüne sehen ein Signal für Rot-Grün

Berlin (taz) – Kanzlerkandidat Gerhard Schröder hat gestern ein „Startprogramm der SPD-geführten Bundesregierung“ vorgelegt. Aus den Kernpunkten ist abzulesen, daß diese Regierung nur schwerlich mit der Union gebildet werden kann. In Anwesenheit der Mitglieder seines Schattenkabinetts versprach Schröder unter anderem ein „Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte“, mit dem „die Fehlentscheidungen der Bonner Koalition beim Kündigungsschutz und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall korrigiert“ werden sollen. Diese Maßnahmen haben, so Schröder, „zu einer unseligen Spaltung unserer Bevölkerung“ geführt. Er spielte damit darauf an, daß für 30 Prozent der Arbeitnehmer die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht mehr garantiert ist, während sie für 70 Prozent noch tarifvertraglich gesichert ist.

Auch die von der Bundesregierung zum 1.Januar 1999 beschlossene allmähliche Absenkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent will die SPD „unmittelbar nach Amtsübernahme“ revidieren. Schröder erklärte, er wolle „insbesondere älteren Frauen Gerechtigkeit widerfahren lassen“, deren Rente häufig nur 900 bis 1.400 Mark betrage. Er finde es „unanständig“, daß Kohl und Blüm sie damit unter Sozialhilfeniveau drückten.

Im Widerspruch zu Positionen der CDU/CSU steht auch die von Schröder angekündigte Zukunft ohne Kernenergie. Diese solle im Konsens mit Energiewirtschaft, Umweltverbänden und Ländern durchgesetzt werden. Der Kandidat räumte aber ein, daß diese Zukunft „schwerer zu realisieren ist, als so mancher, auch in der SPD, sich das vorstellt“.

Die Bundesregierung reagierte ablehnend auf das SPD-Programm. Regierungssprecher Otto Hauser sagte, die Rücknahme von wichtigen Reformen hätte „verheerende Folgen für den Standort Deutschland“. Der Wirtschaftsaufschwung würde nachhaltig gestört und die Schaffung neuer Arbeitsplätze massiv behindert.

Hingegen begrüßten die beiden Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Gunda Röstel und Jürgen Trittin, die SPD-Positionen. Diese seien nur mit den Grünen als Koalitionspartner durchsetzbar. Die Rücknahme der Fehlentscheidungen beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sei ein Signal für Rot-Grün. Röstel und Trittin bemängelten, daß sich die SPD um eine konkrete Aussage zum Atomausstieg und zur doppelten Staatsbürgerschaft drücke. Die wurde von Schröder auf seiner gestrigen Pressekonferenz nachgeliefert: „Wir werden die doppelte Staatsbürgerschaft durchsetzen.“ Auch dies ist mit dem CDU- Programm nicht kompatibel.

Der finanzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, Oswald Metzger, war weit weniger als sein Bundesvorstand von dem SPD-Programm angetan. Er warf der SPD vor, willkürlich mit Zahlen zu operieren. So seien die Mehrausgaben von 1,5 Milliarden Mark, die die SPD für ihre Maßnahmen veranschlage, eine willkürlich gesetzte Summe. Zu den staatlichen Mehrausgaben müßten außerdem die 10 Milliarden Mark hinzugerechnet werden, die die SPD im Rahmen der Einkommensteuerreform den Bürgern als Nettoentlastung versprochen habe. Enttäuschend findet Metzger, daß im SPD- Programm kein Satz zur Senkung der Beiträge zur Sozialversicherung zu finden ist. Um diese zu finanzieren, hätte die SPD allerdings eine Erhöhung der Mineralöl- oder der Mehrwertsteuer veranschlagen müssen. Dieter Rulff

Tagesthema Seite 3