Risiken der Wissenschaft

„Bioethik“ fragt danach, ob alles, was wissenschaftlich machbar ist, auch ethisch vertretbar sein kann. In Deutschland soll diese Disziplin systematisch etabliert werden. Dafür haben Forschungsminister Jürgen Rüttgers und die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine Initiative gestartet. Finanziert wird diese mit Steuern, dabei hat das Parlament seinen Segen noch nicht gegeben. Ein Bericht  ■ von Klaus-Peter Görlitzer

Diskussionen im Bereich der sogenannten Bioethik“, klagt DFG- Präsident und Genforscher Ernst- Ludwig Winnacker vor der Bonner Wissenschaftskonferenz, „sind vor allem in Deutschland häufig von Angst und Irrationalität geprägt.“ Daher sei es notwendig, „den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit in diesen Fragen zu versachlichen“.

Winnacker stört, daß manches, was die von Bund und Ländern finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) als „neue Handlungsmöglichkeit“ fordert, bei vielen BürgerInnen und wenigen PolitikerInnen auf Ablehnung stößt – etwa Forschung und Gentests an Embryonen oder das Übertragen von Tierorganen auf Menschen. Befürwortet wird von der DFG auch die Zeichnung der Bioethik-Konvention des Europarates, gegen die bereits über 1,5 Millionen Menschen und ein überfraktionelles „Bündnis für Menschenwürde“ im Bundestag protestiert haben – mit Erfolg: Der umstrittene Völkerrechtsvertrag war im Jahr der Bundestagswahl politisch nicht durchsetzbar; ob die Bundesrepublik ihm doch noch beitreten wird, können Regierung und Parlament somit erst nach der Wahl entscheiden.

Ihre forschungspolitischen Interessen will die DFG künftig noch besser zur Geltung bringen. Bei der Überzeugungsarbeit soll die sogenannte Förderinitiative Bioethik helfen. Das Programm stellt für Projekte und Tagungen fünf Jahre lang jeweils 1,5 Millionen Mark bereit. Aussichten auf eine Finanzspritze haben theologische und philosophische Ethiker, Mediziner, Juristen, Ökonomen und Soziologen, die zu einer Zusammenarbeit über die Fachgrenzen bereit sind. Laut Ausschreibungstext sollen sie mitwirken beim „Management der sozialen Risiken und der Folgen, die bei der Anwendung wissenschaftlicher Erkentnnisse entstehen“.

In der ersten Auswahlrunde hat der DFG-Hauptausschuß unter 42 eingereichten Anträgen vierzehn Forschungsprojekte bewilligt, die zunächst zwei Jahre mit insgesamt 3,1 Millionen Mark gefördert werden. Die meisten dieser Vorhaben thematisieren Techniken, medizinische Eingriffe und Forschungen, die hierzulande rechtlich verboten oder gesellschaftlich umstritten sind. Zum Beispiel: Forschung mit nicht einwilligungsfähigen PatientInnen; Klonierungstechniken beim Menschen, Präimplantationsdiagnostik (Gentests an Embryonen im Reagenzglas), Organherstellung aus embroyonalen Stammzellen und Xenotransplantation (Übertragen von Tierorganen auf Menschen), aber auch altersbezogene Rationierung von Gesundheitsleistungen, Kriterien für den tödlich wirkenden Behandlungsabbruch bei Krebskranken und Kindern.

Abzusehen ist, daß das Bioethikprogramm in den kommenden Jahren politische Wirkung entfalten wird: Ethische und rechtliche Grenzen, die bisher noch als gesellschaftlich und politisch akzeptiert gelten, dürften bald mit Verweis auf die wissenschaftlich ermittelten Projektergebnisse in Frage gestellt werden. Für diese Prognose spricht nicht nur die ausdrückliche Unterstützung der Bioethikinitiative durch Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers, sondern auch die Auswahl der mehr oder minder bekannten HochschulprofessorInnen, die für die einzelnen, miteinander vernetzten Vorhaben verantwortlich zeichnen.

Zum Beispiel der Berliner Psychiater Hanfried Helmchen. Er fordert seit Jahren, was das deutsche Arzneimittelgesetz noch verbietet: Forschung ohne therapeutischen Nutzen an demenzkranken PatientInnen, die nicht in der Lage sind, persönlich einzuwilligen. Nun darf Helmchen mit DFG-Mitteln empirische Untersuchungen zu Einwilligungsfähigkeit und zum Prozeß des informed consent (informierte Zustimmung zu medizinischen Eingriffen) bei psychisch Kranken anstellen, die bisher noch als nicht einwilligungsfähig gelten.

Zum Beispiel der Bonner Philosoph Ludger Honnefelder: Er ist nicht nur Leiter des künftigen Bioethikreferenzzentrums (siehe unten), er hat auch die umstrittene Bioethik-Konvention mitformuliert. Der europäische Vertrag billigt unter anderem Gentests an Erwachsenen, im Rahmen der vorgeburtlichen Diagnostik und an Embryonen im Reagenzglas. Nun darf Honnefelder mit DFG-Mitteln erforschen, ob mit „Selektion aufgrund genetischer Diagnostik“ zu rechnen sei und welche medizinischen, ethischen und rechtlichen Aspekte zu beachten sind.

Zum Beispiel der Duisburger Philosoph Hartmut Kliemt. Er hat vor Jahren Aufmerksamkeit erregt mit seinem „Clubmodell“ zur Organtransplantation, demzufolge nur solche PatientInnen Körperteile beanspruchen können, die vorher ihre Bereitschaft zur „Organspende“ erklärt haben. Nun darf Kliemt mit DFG- Mitteln zwei Jahre lang über „altersbezogene Rationierung von Gesundheitsleistungen im liberalen Rechtsstaat“ nachdenken. Dabei kann er auch eine Frage beantworten, die DFG-Präsident Winnacker in der Ausschreibung zur Bioethik-Initiative gestellt hatte: „Inwieweit ist Gesundheit eine öffentliche Aufgabe?“

Gleich mit zwei Projekten zu „Patientenaufklärung und klinischen Entscheidungskonflikten“ im DFG-Programm vertreten ist der Bochumer Philosoph Hans- Martin Sass, der auch Direktor des europäischen Ethikprogramms am Kennedy Institute of Ethics der Georgetown University in Washington ist. Sass genießt den Ruf, Generalimporteur der in den USA entwickelten Bioethik zu sein; seine Güterabwägungen preist er gern an als „Serviceleistungen für das individuelle Gewissen“. Zur Zeit engagiert er sich besonders für die Verbreitung von Betreuungs- und Patientenverfügungen, mit denen Verfasser in gesunden Tagen erklären können, daß sie irgendwann, etwa nach Eintritt eines Komas oder einer Demenzerkrankung, durch Unterlassen notwendiger medizinischer Behandlung von ÄrztInnen ums Leben gebracht werden wollen.

Immerhin: Auch ein eher kritischer Beobachter der Reproduktionsmedizin wird durch das Bioethikprogramm der DFG unterstützt: der katholische Theologe Dietmar Mieth vom Tübinger Ethik-Zentrum. Thema seiner Studie sind „Ethische Fragen der In-vitro-Techniken am Beginn des menschlichen Lebens“.