Kumpanei von Polizei und Justiz

BGH will zwei Polizisten, die Oliver Neß 1994 mißhandelten, freisprechen. Sachverständige warnen vor „Justizskandal“  ■ Von Elke Spanner

Nie mehr wird sich Oliver Neß zu seinen Mißhandlungen durch Hamburger Polizisten äußern. Vor vier Jahren hatten Beamten den Journalisten am Rande einer Demonstration gegen den österreichischen Rechtsextremisten Jörg Haider auf dem Gänsemarkt schwer verletzt. Gestern kündigte er an: „Für mich ist das Verfahren endgültig beendet.“

Auch dem Bundesgerichtshof (BGH) will Neß nicht mehr als Zeuge zur Verfügung stehen, sollte dieser eine erneute Gerichtsverhandlung fordern. Doch danach sieht es ohnehin nicht aus. Vielmehr zeichnet sich ab, daß das oberste deutsche Gericht den Fall im Herbst abschließt – mit einem Freispruch für die Prügelpolizisten.

Entsetzt warnten gestern Sachverständige aus Justiz, Wissenschaft und Gewerkschaften vor diesem „Signal an die Polizei“. Oliver Neß sei „körperlich und seelisch gefoltert“ worden, sagte Gisela Wiese, Vizepräsidentin von Pax Christi. Schon die Landgerichtsurteile, in denen die einzigen beiden angeklagten Polizisten zu lächerlichen Geldstrafen verurteilt worden waren, seien „ein Hohn“ gewesen. „Wir waren schon froh, daß überhaupt Polizisten verurteilt wurden.“

Durch den zu erwartenden Freispruch der Polizisten, den der BGH in einem Brief an die Verfahrensbeteiligten angedeutet hat (taz berichtete), mausere sich der Polizeiskandal zum Justizskandal, befand auch der Strafrechtler Rolf Gössner. Und der Völkerrechtler Norman Paech konstatierte entsetzt, die „Kumpanei von Polizei und Justiz“ nehme „fast türkische Ausmaße an“. Sein Hannoveraner Kollege Jürgen Seifert erinnerte daran, daß der Polizeieinsatz 1994 schon im Ansatz „das Menschenrecht auf Demonstration“ mißachtet habe.

Wer die Bilder kennt, die ein damals anwesendes Fernsehteam gedreht hat, der weiß, daß Neß selbst zu dem Fall in der Tat nichts mehr zu sagen hat. Eindeutig ist zu erkennen, wie der Journalist beobachtend am Rande der Demonstration steht. Unvermittelt würgt ihn ein Polizist und reißt ihn zu Boden. ZivilbeamtInnen schirmen die Szene sofort mit Tränengaswaffen ab, ein Pulk von Polizisten stürzt sich auf den am Boden Liegenden und traktiert ihn mit Händen und Schlagstöcken, bis Neß schließlich schmerzverzerrt aufschreit.

Den BGH kümmern jedoch weniger diese Bilder, er sorgt sich vielmehr um die angeklagten Polizisten. Die erhebliche Verschleppung des Verfahrens durch die Hamburger Staatsanwaltschaft sei für die Angeklagten wegen ihrer „hohen persönlichen, namentlich beruflichen Belastung“ bedeutsam. Weniger mitfühlend zeigt sich der Gerichtshof gegenüber dem Polizeiopfer Neß. Der BGH fragt sich, ob Neß nicht vielleicht doch ein „Störer“ gewesen sei, der soeben einen Landfriedensbruch beging, als die Polizisten sich auf ihn stürzten. Zweifelhaft sei deshalb, ob die PolizistInnen überhaupt die Grenze des Erlaubten überschritten hätten – als sie Neß einen Fuß total zertrümmerten, so daß der Journalist nach diversen Operationen noch heute mehrmals wöchentlich zur medizinischen Behandlung gehen muß.