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: Schöne Seelen, Blut und Nordwind: Joachim Witt singt in der Wuhlheide

Was das Aussehen anbetrifft, läßt einen die Erinnerung bei Joachim Witt im Stich: Trug der schon immer so konsequent schwarze Hemden, Mäntel, Hosen und Schuhe, hatte der schon immer so einen eigentümlich altertümlichen Kinn-und-Backen- Bart? Mit Sicherheit nicht vergessen aber hat man die Lieder, mit denen er Anfang der Achtziger zu einer der Ikonen der Neuen Deutschen Welle wurde: „Goldener Reiter“ und „Herbergsvater“. Mit dem Niedergang der NDW verschwand auch der Hamburger in der Versenkung, produzierte jedoch weiterhin Alben, die so eigenartige Titel wie „Mit Rucksack und Harpune“ oder „Kapitäin der Träume“ trugen. Gemessen aber wurde er von Fans und Plattenfirmen immer am „Goldenen Reiter“, und so was dürfte selbst abgebrühtere Musiker, als Witt einer ist, schwer nerven.

Mittlerweile scheint Witt sich endgültig vom NDW-Trauma und anderen Bürden befreit zu haben. Erst produzierte er mit dem Wolfsheim-Mann Peter Heppner den Song „Die Flut“, der in einschlägigen Gothic-Wave-Kreisen ein Dancefloor-Feger wurde. Und wenig später folgte das Album „Bayreuth“. Bayreuth? Jawohl, Witt ist beim deutschen Hochkulturgut gelandet, Bayreuth sei für ihn ein Begriff, der für „Emotionalität, Romantik und Tiefe steht und Assoziationen von Tragik, Morbidität, verschwenderischer Opulenz und großen Gefühlen beinhaltet“.

Meinten es die frühen Achtziger gut mit ihm, ist es jetzt das Achtziger-Revival, das ein wenig auch Joachim Witt mitträgt. „Bayreuth“ hört sich so an, als sei die Zeit stehengeblieben, das Album hätte schon damals gut neben die von Sisters Of Mercy und Play Dead gepaßt: wabernde Synthieflächen, monoton klöppelnde Drummaschinen, die „Herzschläge einer sensiblen, deformierten Seele“ eben, wie die Plattenfirma weiß. Und solche Seelen haben gerne das Wörterbuch der deutschen Romantik in der Hand, die singen gerne von Venusmonden, Treibjagden und Wintermärz, die werden von „kalten Nordwinden geweckt“ und „von Ängsten gepeitscht“, die „toben im Blut“, sind „wund“ und „verloren zu quälen“. Ob Witt aber nun ausgerechnet im Vorprogramm der Seelenverwandten (urps!) von Rammstein seinen Seelenfrieden (urps, zwei!) wiederfindet, sei einmal dahingestellt. Mit dabei beim Deutschlandtreffen in der Wuhlheide ist übrigens Nina Hagen. Gerrit Bartels

Samstag, Sonntag in der Wuhlheide in Köpenick ab 17 Uhr