Grüße aus Budapest
: Schmerz, laß nach!

■ Vita Pawlitsch stößt in unbekannte Weiten vor und amüsiert sich dabei prächtig

Man muß wirklich sagen, daß Vita Pawlitsch eine außergewöhnlich freundliche Frau ist, die gerne und viel lacht und offenbar äußerst positiv an das Leben herangeht. Leider kommt sie ja selten aus Charkow raus, aber wenn sie dann mal im Ausland ist, dann amüsiert sie sich immer prächtig.

In Budapest glänzte das madonnenhafte Gesicht der blondierten Ukrainerin besonders, nachdem sie nicht nur ihren EM-Titel im Kugelstoßen verteidigt, sondern dabei 21,69m weit gestoßen hatte. „Ich habe mich jahrelang auf diesen Stoß vorbereitet“, sagte sie und war offenbar sehr zufrieden. Für manchen freilich hätte es auch weniger getan. Erstens ist 21,69m zwei Meter weiter als der Rest, zweitens einen Meter über ihrer bisherigen Bestleistung (20,73m) und drittens so weit, wie seit zehn Jahren keine Frau mehr gestoßen hat – auch die die Branche dominierende, in diesem Jahr aber pausierende Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss nicht. Deren Bestleistung steht seit Göteborg 1995 auf 21,22m. Im Vorjahr hatte sie Pawlitsch bei der WM mit Mühe auf Distanz gehalten und danach massiv des Dopens bezichtigt. Trainer und Lebenspartner Dieter Kollark hatte mit der erwiesenen Fachkompetenz aus alten Ost-Zeiten Indizien geliefert. Die Indizienlage hat sich in Budapest zugespitzt: Athletin Pawlitsch, im Vorjahr noch sparsam im internationalen Einsatz, ließ sich vor der EM bei überhaupt keinem Wettkampf sehen – und damit auch nicht kontrollieren. Daß unabhängige, unangemeldete Trainingskontrollen der IAAF in der Ukraine stattgefunden haben, ist möglich, aber nicht eben wahrscheinlich.

Nun sagen alle in der Branche das, was DLV-Präsident Helmut Digel sagt. Der sagt: „Für mich sind alle Athleten saubere Athleten. Bis einer überführt wird.“ Nichtsdestotrotz ist Betrug ein Bestandteil des Systems Leichtathletik und speziell die Ukraine erneut auffällig geworden durch Kugelstoß-Europameister Bagatsch. Zwei Jahre Anabolikasperre hat er hinter sich, im Vorjahr kostete ihn die Einnahme des Aufputschmittels Ephedrin den WM-Sieg. Heuer darf er sein Gold zwar behalten, aber nur, weil die Gewichte, die seine Knöchel stabilisierten, vom Regelwerk nicht zu erfassen waren.

Was Pawlitsch betrifft, so ist die jetzt 29 und hat sich in den letzten beiden Jahren um jeweils einen Meter verbessert. Wie? „Ich bin verrückt nach Kugelstoßen“, sagt sie. Solche Leistungssprünge finden allerdings meist früher statt. Experten schätzen, Hormondoping bringe in den Wurfdisziplinen zwischen fünf und zehn Prozent, also ein bis zwei Meter. Und dann sind da auch noch ihre kaputten Knie. „Ich bin immer noch verletzt“, sagte sie in Budapest strahlend. Mal sei der Schmerz größer, mal lasse er nach. „Wenn er nachläßt“, sagt sie, „kann ich besser stoßen.“ Nichtsdestotrotz trainiert sie immer „sehr, sehr hart“.

Muß sie auch, ihr Körper ist nicht eben ideal für die Disziplin. Was ihr an Körpergröße und Armlänge fehlt, muß sie mit Muskelkraft wettmachen. Irina Korschanenko (Silber) und Janina Koroltschik (Bronze) sind technisch noch nicht ausgereift, haben aber bessere körperliche Voraussetzungen. Selbst diese beiden schafften in Budapest keine 20 Meter. Über 21 Meter zu stoßen, das hat nach dem „Stichtag“, wie Kollark das Ende des Leichtathletik-Ostens nennt, nur noch Kumbernuss geschafft. Für die wird es jetzt doppelt schwierig, nach dem Mutterschaftsurlaub ihre sportliche und ökonomische Ausnahmesituation zu behalten.

Pawlitsch ist jedenfalls „schon mal gespannt“ auf ihre Rückkehr. Damit sich die Konkurrentin nicht allzuviel Hoffnungen macht, sagt sie schon mal, was sie stoßen wird, wenn das mit den Knien mal besser sein sollte: „Weltrekord.“ Der steht bei 22,67 m, gilt seit 1987 und als dunkler Fleck aus einer anderen Zeit. Galt. „Im Sport“, sagt Pawlitsch freundlich, „muß man immer mit Überraschungen rechnen.“ Bei logischer Betrachtung ihrer jährlichen Leistungssprünge ist eh klar: Wenn Vita Pawlitsch es nur schafft, sich auf ihren kaputten Knien zur WM nach Sevilla zu schleppen, ist der Weltrekord fällig. Da möchte man sie grinsen sehen. pu