„Das ist typisch österreichisch“

Steffi Graf macht Nacktfotos, holt die geforderte EM-Medaille für Austria und antwortet auf die gefürchtete Frage nur noch: „Ich kann es nicht mehr hören“  ■ Aus Budapest Peter Unfried

Steffi Graf hat ein Nacktfoto von sich machen lassen. Na ja, nackt; es zeigt Graf von hinten, den Blick über die Schulter in das Auge des Betrachters gerichtet. Zu sehen war das unlängst in der Szenezeitschrift Wiener. Daß das Foto für Furore gesorgt hätte, kann man allerdings nicht sagen; dafür kannten zu wenige Österreicher die Graf.

Inzwischen sind es ein paar mehr geworden. Steffi Graf hat nämlich bei der Leichtathletik-EM die erste und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch letzte Medaille für den Österreichischen Leichtathletik-Verband gewonnen, Bronze über 800m.

Eine echte Überraschung ist das freilich nicht, denn Graf (25) hat sich in diesem Jahr um zweieinhalb Sekunden verbessert; mit ihren 1:57,97 min, erst in Zagreb, dann in Zürich gelaufen, liegt sie auf Rang fünf der Welt- und Rang zwei der Europajahresbestenliste hinter der russischen Vizeweltmeisterin Jelena Afanasjewa, die in Budapest wie erwartet eine Klasse für sich war. „Ich wußte, wenn ich mein Tempo laufe, würde mir keine folgen können“, sagte Afanasjewa, und so war es. Graf offenbarte alte Schwäche beim Rempeln, mußte bei 500 Metern sehen, „wie das Loch aufging“, und glaubte zu spüren, daß ihre Bauchmuskulatur „sauer wie noch nie“ war.

Das war der Moment, in dem sie dachte: „Das Loch muß ich zumachen, sonst wird's peinlich.“ Wurde es dann nicht; nur die Schwedin Ewerlof holte sie nicht mehr, dafür Bronze, weshalb sie in Österreich nun endgültig als veritable Nachfolgerin von Theresia Kiesl gelten darf.

Kiesl, mit Olympiabronze über 1.500m erfolgreichste österreichische Leichtathletin der letzten Jahre und ehemalige Trainingspartnerin von Graf, hatte nach einem Sieg bei der Hallen-EM im Frühjahr aufgehört. So hat man in Wien in den vergangenen Tagen hauptsächlich über das Fußballspiel gegen den Weltmeister Frankreich geredet. Als dann die Öffentlichkeit doch mitgekriegt hat, daß eine von elf Landsleuten in Budapest Chancen hatte, bekam sie sofort Druck. „Typisch österreichisch“ sei das, sagt Graf, „erst ist man meilenweit weg vom Ganzen, und dann wollen sie gleich eine Medaille.“

Haben sie nun ja, was der Sportart nicht schaden kann. Den publikumswirksamsten Leichtathleten des Jahrzehnts, Sprinter Andreas Berger, hatte vor einigen Jahren der deutsche Dopingfahnder Wengoborski auffliegen lassen und mit ihm die ganze Trainingsgruppe und Sprintherrlichkeit. Das war zwar auch publikumswirksam, hat aber dem ohnehin begrenzten öffentlichen Interesse an der Leichtathletik nicht eben genützt. Dem ÖLV fehlt ein Hauptsponsor, die EM handelt der ORF täglich in 25 Minuten ab. Der Fehler, glaubt Graf, liegt im System beziehungsweise an dessen Fehlen. „Man muß Basisarbeit leisten“, sagt sie, „das hat man in den letzten zehn Jahren verpaßt.“

Graf wird seit drei Jahren von Helmut Stechemesser trainiert, ehemals Facharzt für Sportmedizin in der DDR, heute praktischer Arzt in einer Reha-Klinik im oberösterreichischen Asbach. Stechemesser, selbst fünfzehn Jahre Mittelstreckler, hat aus seinen Erfahrungen („Wir haben trainiert, trainiert, trainiert und die Erholung vergessen“) und Grafs körperlichem und psychischem Zustand seine Schlüsse gezogen und setzt auf Intervalle, das heißt Training in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Als Kiesl noch da war, war Graf deren „kleine Schwester“, die im Schatten so vor sich hinlief. „Was der während des Laufs durch den Kopf gegangen ist“, sagt Stechemesser, „war eine Katastrophe.“ Ein Psychologe half. Nun ist sie erstens „viel konzentrierter“, wird nicht mehr so leicht weggedrängt wie im WM-Halbfinale oder zuletzt bei der Hallen-EM. Zweitens ist sie schneller und konnte daher in den Vorläufen Problemen aus dem Weg gehen, indem sie selbstbewußt vorne oder außen lief. Einen „Kick“, wie sie das nennt, Spurtvermögen, hatte sie schon immer. Weil Graf in Klagenfurt studiert (Italienisch und Mathematik) und läuft, trainiert Stechemesser sie am Telefon. Schwierig? Kein Problem, sagt er, die Athletin täglich abzufragen. Außerdem gibt es Mutter Rita Graf, die selbst Mittelstrecklerin und 17mal nationale Meisterin war. Die läuft regelmäßig mit.

Was für eine ist Steffi Graf? Die österreichischen Journalisten nennen sie „burschikos“. Sie ist freundlich, gibt offen Auskunft. Das Problem ist nur: Sie läuft immer. Wenn man mit ihr reden will, muß man nebenherhecheln. Ist man schnell genug, kann man erfahren, daß sie ihre ersten kleinen Sponsoren und öffentlichen Auftritte bekam, weil den Leuten offenbar ihr Name gefiel. Bei einem Tennisturnier hat man sie sogar mal für ein lustiges Foto neben eine Spielerin gestellt, von der sie nur mitbekommen hat, daß die „ziemlich angefressen war“. Nun ja, in Österreich macht inzwischen kaum einer mehr Anspielungen, und wenn in Budapest doch noch ein paar ganz Aufgeweckte daherkamen, dann sagte Steffi Graf nur freundlich: „Ich kann es nicht mehr hören.“ Im übrigen wird ihr Name Stephanie geschrieben.